
Der Beste im Mai 2024: Karl-Markus Gauß
Für den österreichischen Essayisten, Reiseschriftsteller, Ethnografen und Kritiker Karl-Markus Gauß gibt es keinen Ort, der es nicht wert wäre, durchwandert und erkundet zu werden, „weil ein jeder sein Geheimnis und seine Geschichte hat.". So schreibt Gauß in seinem jüngst erschienenen Buch „Schiff aus Stein", einer Sammlung von literarischen Glücksmomenten, philosophischen Betrachtungen und Reiseerinnerungen. Am 14. Mai feiert der in Salzburg lebende und vielfach ausgezeichnete Autor seinen 70. Geburtstag.
Karl-Markus Gauß ist keiner, der sich in Selbstbetrachtungen ergeht. Sein Schreiben ist dem Gegenüber, der Welt im Außen gewidmet. Und dennoch schreibt er dabei auch über sich, denn: in dieser weiten Welt, sagt er, gäbe es fast nichts, was sich nicht mit seiner Existenz verbinden ließe.

Gauß ist in verschiedenen Genres unterwegs - Reisereportagen, Journale, Essays, Kritiken, Zeitungskommentare – Schreibblockaden sind dem Autor fremd. Wenn ihm bei einem Text die Luft ausgeht, wechselt er zum nächsten Projekt. Insgesamt 29 Bücher sind in den letzten Jahrzehnten von Karl-Markus Gauß erschienen, sämtliche unselbstständige Publikationen nicht mitgezählt. In 17 verschiedenen Sprachen liegt sein Werk vor.
„Ein Buch ist vor allem dann interessant, wenn der Autor – in dem Fall ich – während des Schreibens sich ein bisschen entwickeln kann. Wenn er vorher nicht alles weiß, sondern beim Schreiben gescheiter oder liebenswürdiger wird, kritischer oder bösartig. Jedenfalls: wenn er beim Schreiben auch etwas über sich selbst oder von der Welt neu entdeckt“, sagt Gauß im ORF-Interview.

Karl-Markus Gauß: „Schiff aus Stein“
Roman, erschienen am 18.03.2024
Zsolnay
Das jüngste Buch, „Schiff aus Stein“ stellt eine Art Rückschau auf Erlebtes und Geträumtes dar. Gauß unternimmt in seinen Miniaturen einen Streifzug durch in der Vergangenheit bereiste Orte, vom oberen Mühlviertel, entlang der Küstenstädte Dalmatiens bis ins moldawische Chișinău. Er erinnert sich an Begegnungen mit Unbekannten oder mit befreundeten Schriftstellern und streut philosophische Überlegungen ein. Die Idee zum Buch hatte der Autor nach einem Herzinfarkt.
„Ich war tatsächlich vor drei Jahren auf der Intensivstation eines Krankenhauses und habe, weil ich in der Nacht nicht schlafen konnte, auf den Mönchsberg, den Berg meiner Kindheit geblickt. Irgendwann habe ich mir gedacht: wenn ich wieder zu Hause bin, möchte ich eine Sammlung von Glücksmomenten anfangen. So magische Augenblicke von Orten, alltäglichen Situationen.“
Den Ort seiner Kindheit, Salzburg, hat Karl-Markus Gauß nie verlassen – sieht man von den zahlreichen Reisen quer durch Europa ab. Als jüngstes von vier Kindern geboren, wuchs Gauß in den 50er-Jahren in einer Siedlung am Stadtrand auf. Die Eltern waren als Donauschwaben nach dem Krieg aus der Wojwodina nach Österreich gekommen. In einigen seiner Bücher, darunter in „Die unaufhörliche Wanderung“, das vorletztes Jahr mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet wurde, erinnert sich der Autor an das Aufwachsen unter Vertriebenen aus dem Banat, Siebenbürgen, dem Sudetenland und anderen Regionen, die in Salzburg ein neues Zuhause gefunden hatten. „Es ist eine Welt für sich, die ihre Existenz in gewissem Sinne der unaufhörlichen europäischen Wanderung verdankt“, heißt es darin.
Die Erfahrung der Vielsprachigkeit hat Gauß für sein Leben geprägt. Bis an die äußersten Ränder des Kontinents war und ist Gauß immer wieder unterwegs, um entlegene Gegenden zu erkunden, und Menschen zu begegnen, deren Sprachen aussterbende sind, die abgedrängt, abgehängt und vergessen werden: Arbëreshe, Aromunen, Gottscheer-Deutsche, Roma oder Sepharden.

„Mich interessieren scheiternde und unterdrückte und irgendwie verfolgte Menschen. Also ich finde sie interessanter. Auch wenn ich jetzt im Alter häufiger in besseren Hotels absteige, die interessanteren Geschichten, die ich drüber schreiben konnte, waren immer in den billigen Kaschemmen. Ja, vielleicht, weil die wohlhabenden Menschen, zu denen ich in einem gewissen Sinne ja auch gehöre, langweiliger sind.“
Zur zweiten Heimat ist Karl-Markus Gauß Wien geworden, wo seine Tochter lebt und wo sein Verlag beheimatet ist. Das Café Strozzi im 7. Bezirk ist ein Ort, den er mit seiner Frau gerne aufsucht. Das Unterwegssein mache nur die Hälfte seiner schriftstellerischen Existenz aus, meint der Autor, der in der Tagespresse immer wieder als scharfzüngiger Kommentator politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen auftritt. Schreiben, das ist für ihn seit jeher auch Parteinahme. Und in seinem neuen Buch heißt es: "... dass es nicht möglich sei, ein würdiges Leben zu führen, ohne den Blick in den Abgrund zu wagen und auszuhalten.“

Was sich Karl-Markus Gauß zum Geburtstag wünscht?
„Ich hab ja fast ein religiöses Verhältnis zum Alltag und ich glaub nicht, dass man auf den Sonntag warten muss, damit man einen schönen Tag hat und auf den Urlaub, damit man endlich glücklich ist. Sondern jeder Tag muss für sich selbst eine gewisse Aura, eine gewisse Schönheit erlangen.“
Text: Sophie Weilandt, ORF TV Kultur