Iris Wolff
Max-Goedecke
Iris Wolff

Die Beste im März 2024: Iris Wolff

Wie sich Liebe auf Dauer durchsetzt

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In ihrem Roman „Lichtungen“ rollt Iris Wolff ein Leben von hinten auf: Eine Art Happy End ist da also erst der Anfang.

Warum legt Iris Wolff in ihrem neuen Roman „Lichtungen“ den Rückwärtsgang ein? In neun Kapiteln, von der Gegenwart bis in die Kindheit von Lev, greift sie Episoden aus dessen Leben heraus, was sich zunehmend zu einer Schürfarbeit in die Vergangenheit ausweitet. So ist schon einmal Andreas Okopenko vorgegangen in seinem Roman „Kindernazi“ von 1984.

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In einem Brief an den Buchhandel begründet Iris Wolff ihre Vorgangsweise, „denn so begegnen wir einander auch, im echten Leben“. Dennoch geht es um mehr, denn Wolff stellt Kato an die Seite von Lev, sodass sich im Verlauf der Lektüre die Geschichte einer Anziehung und Abstoßung über Jahrzehnte einstellt.

Das Buch beginnt mit einer Art Happy End. Die beiden befinden sich auf einer Fähre nahe Frankreich, es hat den Anschein, dass sie nach einer längeren gemeinsamen Tour endlich zueinandergefunden haben. Wie unvorhersehbar das ist, lässt sich aus deren bisherigem Umgang, den sie miteinander pflegten, ablesen. Lange hielten sie es nie miteinander aus. Kato war stets auf dem Sprung anderswohin, Lev steht für Beständigkeit – ein ungleiches Paar, das dennoch voneinander nicht lassen kann. Die eine in einem dauernden fiebrigen Zustand das Neue suchend, der andere in sich ruhend, die personifizierte Geduld verkörpernd. Sie, getrieben von der Sehnsucht nach dem Fremden, in permanentem Aufbruch begriffen, er, gehalten von der Sehnsucht nach Stabilität, die Dauerhaftigkeit der Liebe anstrebend. Ein klassisches Gegensatzpaar, das aus der Spannung seine Energie bezieht.

Iris Wolff
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Iris Wolff

Mit der Methode, ein Leben von hinten aufzurollen, widersetzt sich Iris Wolff der gängigen Roman-Vorlage, die in sich ein Stück Ideologie birgt. Die beruht auf der Linearität und dem Konzept der Schlüssigkeit, wonach jedes Ereignis das Ergebnis vorheriger Begebenheiten ist. Eins folgt aus dem anderen, und am Ende des Romans überblickt man eine Biografie, die anders gar nicht vorstellbar ist. Das Erzählen gegen die Chronologie setzt jeweils Situationen in den Raum, deren Vorgeschichte wir nicht kennen. Man platzt gleichermaßen in Szenen eines Lebens, die als gegeben zu nehmen sind. Das mangelnde Wissen ermöglicht einen unbefangenen Blick auf die Figuren.

Lichtungen
Klett-Cotta

Iris Wolff: Lichtungen
Roman, 6. Auflage, 256 Seiten, Erscheinungstermin: 13.01.2024
Klett-Cotta Verlag

Er kommt aus der rumänischen Provinz nicht weg, sie findet erst im Unterwegssein zu sich. Es gibt zwei Möglichkeiten, im Verlauf der Lektüre damit umzugehen. Ich belasse Momentaufnahmen als das, was sie sind, Ausschnitte aus einem großen Ganzen, die für sich stehen und stark genug sind, die Adhäsionskräfte zwischen zwei Menschen zu definieren. Immerhin stehen Jahre zwischen den so seltenen Begegnungen von Lev und Kato, dass davon auszugehen ist, dass sie nicht mehr die Gleichen sind wie bei früheren Treffen. Es steht mir aber auch offen, im Nachhinein, wenn die Kindheit geklärt ist, auf deren Einfluss für die späteren Charaktere zu bestehen. Es sah nämlich einmal gar nicht danach aus, als ob zwischen beiden ein Funke zünden könnte. Lev, nach einem traumatischen Erlebnis gelähmt über Monate im Bett verharrend, wird von Kato mit den Schulaufgaben versorgt. Widerwillig nimmt er deren Dienste an, vorerst. Bald erwartet er sie dringlich.

Sie lebt nach dem Tod ihrer Mutter allein mit ihrem Vater, wird von anderen ignoriert. Sie verzieht sich in die Gegenwelt ihrer Zeichnungen. Dass Lev von einer Außenseiterin instruiert wird, empfindet er, der dazugehören möchte, als Zumutung. Irgendwann akzeptiert er sie als Teil seines Lebens, am liebsten dauerhaft.

Der Roman ist, so dezent auch darauf verwiesen wird, auf dem Hintergrund der politischen Verhältnisse zu lesen. Das Rumänien Ceaușescus ist ein autoritäres Regime, das Bewegungsfreiheit einschränkt. Lev findet sich damit ab, Kato bricht aus. Das ist die Grundkonstellation einer schwierigen Liebe. Erst in Freiheit finden die beiden zusammen, was symbolisch genommen werden darf. Ein Überwachungsstaat kontrolliert auch die Liebe.

Wer es noch nicht weiß: An Iris Wolff haben wir eine besondere literarische Erscheinung! Iris Wolff: „Lichtungen“.

Text: Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten

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