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Die Beste im Februar 2024: Marlen Haushofer

Im Schatten der „Wand“

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Eine Einladung zur Entdeckung: Marlen Haushofers Romane und Erzählungen liegen jetzt in einer vorbildlich edierten Werkausgabe vor.

Innsbruck -„Marlen Haushofer ist immer noch unterschätzt. Ihre Romane sollten längst zu den großen Klassikern der Weltliteratur zählen.“ Das gab Antje Rávik Strubel, damals amtierende Trägerin des Deutschen Buchpreises -sie wurde für „Blaue Frau“ ausgezeichnet -, 2022 zu Protokoll. Da war ein Haushofer-Jahr gerade verpasst worden: 2020 jährte sich die Geburt der oberösterreichischen Autorin zum 100. und ihr Tod zum 50. Mal. Aber die Welt hatte andere Sorgen. In die Lektüre-Empfehlungen für die ersten Lockdowns schaffte es Haushofers bekanntestes Buch, die apokalyptische Einsamkeitserforschung „Die Wand“, trotzdem.

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Gedenktafel in Steyr

Dennoch, das urgierte nicht zuletzt die Literaturwissenschafterin und Haushofer-Biografin Daniela Strigl vollkommen zu Recht: Im Schatten der „Wand“ liegt ein Werk, das lange von den Türstehern vermeintlicher Hochliteratur als „Hausfrauenliteratur“ abgestempelt wurde. Die Chance, diesen Schatz zu heben, hat Haushofers Stammverlag Claassen zunächst verpasst. Und mit der jetzt vorliegenden Werkausgabe alles wieder gutgemacht: Fünf Romane, 80 Erzählungen, darunter das frühe Meisterinnenwerk „Das fünfte Jahr“ und die im deutschen Sprachraum ihresgleichen suchende Sammlung „Schreckliche Treue“ - gut 2000 Seiten österreichische Nachkriegsliteratur, scharf beobachtet, kühl, oft nachgerade „cool“ im Ton, radikal im Wortsinn, zu den Wurzeln der Umund Zustände vordringend.

Literatur Marlen Haushofer: Gesammelte Werke. 6 Bände („Eine Handvoll Leben“;„Die Tapetentür“; „Die Wand“;„Himmel, der nirgendwo endet“;„Die Mansarde“;„Gesammelte Erzählungen“). Claassen, ca. 2000 Seiten, 92,60 Euro. Die Bände sind auch einzeln erhältlich.

Jeder der sechs Bände hat andere Herausgeber, die Werk und Wirkung in Nachworten kenntnisreich einordnen. Und: Jeder Band hat eine Patin oder einen Paten, die oder der in den jeweiligen Text einführt. Clemens J. Setz etwa denkt im Vorwort zu den Erzählungen über Haushofers „hoffnungsvolle Ausweglosigkeit“ nach, Angela Lehner findet ausgehend vom Bild der Kartoffel Verbindungen zwischen Haushofers erstem Roman „Eine Handvoll Leben“ und den Protagonistinnen ihrer eigenen Texte und Nicole Seifert, Verfasserin der Streitschrift „Frauenliteratur“, zeichnet für „Die Mansarde“ nach, wie Haushofers „radikal subversive Stimme“ voreilig schubladisiert wurde.

Vor allem „Eine Handvoll Leben“(1955) und der Roman „Die Tapetentür“ (1957) sind - jedenfalls für den Rezensenten -tatsächliche Entdeckungen, die den Vergleich mit etwa zeitgleich entstandenen, ungleich lauteren, effektvolleren Büchern, „Stiller“ (1954) von Max Frisch zum Beispiel, nicht zu scheuen brauchen. Im Gegenteil: Haushofers klare, klug komponierte Prosa, ihr Fokus auf die Monstrosität des beinahe Beiläufigen entwickelt einen ganz eigenen, einmaligen Sog. Ihre Texte sind kraftvoller als die ihrer kraftstrotzenden, kanonischen Zeitgenossen. Sie lesen sich, man kann es kaum anders sagen: heutiger.

Marlen Haushofer wurde 1920 in Frauenstein geboren. Sie starb 1970 in Wien.

Text: Joachim Leitner, Tiroler Tageszeitung

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