Sabine Gruber
ORF

Die Beste im September 2023: Sabine Gruber

Der Tod zerstört die Liebe nicht

Werbung Werbung schließen

Unerwartet stirbt der Lebensgefährte, und Übersetzerin Renata stürzt aus allen Gewissheiten ihrer Existenz. Sabine Grubers Roman "Die Dauer der Liebe" ist ein Lehrstück über Verlust, Trauer und neue Sinnstiftung.

Unlängst erklärte mir ein deutscher Kollege, man wisse aus der Zahl der Online-Klicks, dass sich das Feuilleton-Publikum heute kaum für Fragen der künstlerischen Form interessiere, hingegen sehr für Aspekte der Psychologie und Lebensberatung. Sabine Grubers jüngster Roman böte Gelegenheit, beide Gebiete gewinnbringend zu vereinen: "Die Dauer der Liebe" ist ein Lehrstück über Verlust, Trauer und neue Sinnstiftung, das freilich nicht mit den Handlungsanweisungen der Ratgeberbücher aufwartet. Und es befasst sich mit den Verflechtungen von Kunst und Politik, mit der vergifteten Schönheit faschistischer Zukunftsvisionen. Zu guter Letzt wirft der Roman selbst die Frage nach seinem ästhetischen Programm auf: die Verwandlung von Schmerz in Literatur.

Erzählt wird die Chronik eines unangekündigten Todes. Die Übersetzerin Renata Spaziani, Wienerin mit italienischem Vater, bekommt eines Morgens Besuch von der Polizei: Ihr Lebenspartner Konrad Grasmann sei verstorben, auf einem Parkplatz zusammengebrochen, es war ein Herzinfarkt. Bis auf ein paar Unpässlichkeiten hat nichts darauf hingedeutet, Konrad war ein vitaler Mann, Architekt und Fotograf, Motorradfahrer, Liebhaber.

Sabine Gruber
ORF

Renata stürzt aus allen Gewissheiten ihrer Existenz, die beiden waren seit fünfundzwanzig Jahren zusammen, heiraten wollte sie nicht, weil die Ehe doch „unmöglich“ ist für eine selbstständige Frau. Das macht es Konrads Tiroler Familie leicht, seinem Testament die Anerkennung zu verweigern. "Das Recht war nur so lange auf der Seite der Liebenden, solange sie beide lebten . .. Das gemeinsame Bett, der gemeinsame Tisch, die jahrelange gegenseitige Obsorge, die Hilfeleistungen, die Zukunftsentwürfe„, sie “zählten ohne rechtlich gültigen Vertrag nichts mehr". Konrads Testament ist bloß ein unterfertigter Computerausdruck, nicht beim Notar hinterlegt, also wird der Tote gleich einmal in Innsbruck begraben, und nicht, seinem Letzten Willen gemäß, in Wien.

So hegt Renata Selbstmordgedanken, lebt mit dem Schock des Verlusts, der nachlassenden Betäubung, dem allmorgendlichen „Gewißheitsstich seines Todes“. In Grubers jüngstem Gedichtband heißt es: „Du aber /Bist im Zerknüllten, im Knitterland /Tot.“ Zugleich aber ist die Witwe ohne Legitimation mit den Begehrlichkeiten und Übergriffen der Angehörigen konfrontiert, die sie offensichtlich nie als Konrads Frau haben gelten lassen. Seine Schwester macht mit ihrer dramatischen Trauerpose Renata Konkurrenz, sein jüngerer Bruder räumt die CDs der beiden aus dem Wagen, noch ehe Konrad unter der Erde ist, und die Mutter fordert die Armbanduhr des Sohnes ein: "Die Uhr zählt jetzt eine andere Zeit, die Renata nichts mehr angeht." Die Mutter, bigott katholisch, ichbezogen und streitsüchtig, stellt sich überhaupt als der böse Geist dieser wundersam makellosen Beziehung heraus. Selbst ihre Kinderlosigkeit hat sie der Schwiegertochter zum Vorwurf gemacht, obwohl Konrads Zeugungsunfähigkeit bewiesen war: Renatas Kinderwunsch sei gar nicht echt gewesen.

Die Dauer der Liebe
C.H. Beck

Sabine Gruber: „Die Dauer der Liebe“
Erschienen am 13. Juli 2023
C.H. Beck

In diesem extremen Allein-und Ausgesetztsein wird die Protagonistin von ihren Freunden und Freundinnen gerettet, als wahrer Fels in der Brandung erweist sich just der ehemalige Kriegsfotograf Bruno, der ramponierte Titelheld aus Grubers vorigem Roman, „Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“. Renata lässt sich ihre Trauer freilich weder ausreden noch streitig machen. Konrad gehöre zu ihr, auch wenn er tot sei, lässt sie eine Runde wissen, "die es gerne lustiger gehabt hätte„: “Wenn euch das nicht paßt, dann gehen wir.„ Wir? “Der Kopf eines Trauernden ist nicht viel klarer als der Kopf eines Verliebten und jedem Quatsch ausgeliefert„, schreibt Olga Martynovas in ihrem eben erschienenen “Gespräch über die Trauer„. Renata “kann ihren Freunden nicht sagen, daß Konrad da ist, daß er nur kurz vor die Tür gegangen ist, um eine Zigarette zu rauchen. Sie kann ihnen nicht sagen, daß er gleich neben ihr sitzen und unterm Tisch seine Hand auf ihren Oberschenkel legen wird. Daß er in der Nacht im Bett über das schlechte Essen . .. lästern würde. Sie kann ihnen auch nicht sagen, daß alles ist wie immer, nur daß sie keinen Sex mehr haben."

Nichtsdestoweniger ist der Verstorbene auch physisch höchst präsent in Renatas Reminiszenzen, und sie hält, trotz Phasen peinvoller postumer Eifersucht, an ihm fest. Das hindert sie aber nicht daran, nach geraumer Zeit der Empfehlung einer Freundin zu folgen und Ausschau nach einem „Überbrückungsliebhaber“ zu halten, nach einem „fröhlichen Zwischenmann“ und „Schmerzverdünner“. Solches tut man heute auf Tinder, was der Autorin die Gelegenheit zu einer traurig-komischen Galerie unattraktiver Männer verschafft - Christian im Gartensessel zum Beispiel: "Man sieht seine Beine und seinen Schritt in Großaufnahme, der Kopf verschwindet im linken oberen Eck. Hat ihn sein Hund photographiert?"

Konrads Aufnahmen hingegen sind bei Sammlern begehrt und einiges wert im Nachlass. Die Erzählung gibt ihrer Beschreibung viel Raum, vor allem der fotografischen Auseinandersetzung mit Mussolinis Musterstädten in den Pontinischen Sümpfen, Sabaudia und Latina, einem unterbelichteten Stück Italien, dessen erstaunliche Details gleichwohl kaum neue Farben zum Porträt des Toten beitragen. Die Reflexionen über Konrads Versuche, die Retortensiedlungen der Faschisten zu „über-zeichnen“, wollen sich nicht organisch mit der berückend leibhaftigen Erinnerung an ihren Urheber verbinden, sie bleiben kühl und abstrakt. Dafür ist in die Darstellung von Konrads Tiroler Gott-sei-bei-uns-Familie viel Emotion geflossen, die Grasmanns, die immerhin auch Leidtragende sind, erscheinen beinah karikaturhaft diabolisch, habgierig und hinterlistig. Letztlich zeigt Sabine Gruber, dass es für die Trauerkranke heilsam ist, alle Verteilungskämpfe hinter sich zu lassen, mag sie auch noch so sehr an den Dingen hängen, in denen die Gegenwart des Toten gespeichert scheint. "Die Dauer der Liebe„ ist keine ekstatische Klage, vielmehr ein still ergreifendes, genau registrierendes Nachdenken darüber, wie das Leben nach dem Einschlag des Schicksals weitergeht, ohne das Bibelwort zu widerlegen: “Die Liebe höret nimmer auf."

Text: Daniela Strigl, Die Presse

Link: