Zum Schreien cool
Hierzulande wird mit Infrastruktur-Projekten und Kulturbauten nicht gekleckert, sondern geklotzt, sollen sie doch für internationales Renommee sorgen. Alles drängt ans Wasser, zum Fjord, zum Meer .
So auch das neue dreizehnstöckige Munch-Museum, dessen oberer Gebäudeteil sich wie der griechische Buchstabe „Lambda“ nach vorne neigt und so der Stadt und dem Fjord seine Reverenz zu erweisen scheint.
Das weltweit größte Museum, das einem einzigen Künstler gewidmet ist, wird jene Sammlung von fast dreißigtausend Werken beherbergen, die Edvard Munch einst der Stadt Oslo vermacht hat. Zwar war eine neue Heimat für die Werke von Norwegens bedeutendstem Künstler längst überfällig, die Konstruktion wie auch die Kosten von rund 200 Millionen Euro waren freilich nicht unumstritten.
Allein durch seine extreme Senkrechte und die markant gewellte Lochblechfassade setzt das Museumsgebäude einen so scharfen Akzent, der das horizontal orientierte Opernhaus nebenan nicht nur überragt, sondern mit seinem „Lambda-Nicken“ beinahe erdrückt.
Konzipiert wurde der Bau von dem noch unbekannten Architekten Juan Herreros aus Madrid und seinem deutschen Partner Jens Richter. In dem neuen Kulturbezirk, wo der gepeinigte Künstler einst entlangging, hat Edvard Munch seinen berühmten „Schrei“ erdacht.
Nur wenige Kunstwerke sind so ikonisch wie jenes, das 1893 entstanden ist. Sein expressionistisches Meisterwerk, in dem er die äußere Natur zum Spiegel seines inneren Erlebens machte, hat nicht nur ein Emoji inspiriert, sondern war lange Zeit auch ein mysteriöses Rätsel. Ein kaum sichtbarer Satz auf dem Gemälde konnte nach jahrelangen Spekulationen erst vor kurzem dem Künstler selbst zugeschrieben werden. „Kan kun være malet af en gal Mand!“, steht auf Norwegisch in der oberen linken Ecke des Originals – was übersetzt heißt: „Kann nur von einem Verrückten gemalt worden sein!“ Der für das bloße Auge kaum wahrnehmbare Satz wurde per Bleistift auf die Farbe des Gemäldes geschrieben, nachdem Munch das Werk fertiggestellt hatte.
Als Munch starb, vermachte er einen Großteil seines Nachlasses der Stadt Oslo – unter der Auflage, dass sie es angemessen ausstellt und zugänglich hält. Die Stadt war mit der Schenkung von mehr als 10.000 Objekten heillos überfordert. Erst zum 100. Geburtstag des Künstlers 1963 wurde im Osloer Osten ein Munch-Museum eröffnet, abseits der Touristenpfade und bei Kuratoren wie Kunstfreunden gleichermaßen unbeliebt. Eine Erweiterung und Renovierung des Museums 1994 zum 50. Todestag von Munch änderte daran wenig, und der Diebstahl des „Schreis“ 2004 schadete der Reputation des Hauses zusätzlich.
Für einen Künstler, dessen berühmtestes Zitat lautet: „Krankheit, Wahnsinn und Tod waren die Engel, die meine Wiege umgaben und die mir mein Leben lang gefolgt sind“, ist das neue Munch-Museum jetzt endlich ein würdiger Rahmen.
So sieht das auch der norwegische Reederei-Erbe Petter Olsen, der die größte Munch-Privatsammlung besitzt. Sein Vater, Thomas Olsen freundete sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Maler an, der im Bezirk Hvitsten Nachbar der Familie war. Als die Nazis Munchs Werke als „entartete Kunst“ brandmarkten, bat er Olsen um Hilfe. Der Reeder kaufte daraufhin viele Bilder seines Freundes und versteckte sie vor dem deutschen Überfall auf Norwegen 1940 in einer Scheune, wo sie bis Kriegsende unentdeckt blieben. Auch das berühmte Bild „Der Schrei“ gelangte damals in den Familienbesitz.
TV-Beitrag: Ines Mitterer