Kollaps auf Raten
Jene, die am Tag des 4. August 2020, als im Hafen von Beirut rund 2.700 Tonnen Ammoniumnitrat explodierten, in der Stadt waren, beschreiben diese Katastrophe in Superlativen – von Vergleichen mit einer „Atombombe“ bis zur „Nahtoderfahrung“.
Rund 200 Menschen starben, Tausende wurden verletzt, ganze Stadtviertel zerstört oder verwüstet, auch jenes, wo sich die meisten Galerien, Museen, historischen Bauwerke und Künstlerateliers Beiruts befanden.
Die Regierung ist nach der Katastrophe, deren Hintergründe bis heute ungeklärt sind, zurückgetreten, die Bildung einer neuen Regierung ist bisher gescheitert. Die Währung befindet sich seit Monaten im freien Fall, Strom vom Staat gibt es nur mehr für zwei Stunden am Tag, die restlichen 22 Stunden muss man sich mit Generatoren selbst versorgen. An den wenigen Tankstellen, wo es noch Benzin gibt, kommt es zu Staus, und kaum jemand sieht irgendeine Perspektive.
Für viele war der 4. August 2020 auch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: „Jeder will das Land verlassen, nicht nur Künstler ... jeder!“, sagt Zeina Arida, Direktorin des Sursock Museums, eines der führenden Museen für Moderne und Zeitgenössische Kunst im Arabischen Raum.
Die Leiterin der Sfeir-Semler Galerie in Beirut, Lina Kiryakos, kennt nur einen international bekannten Künstler, der bleiben will ... den Bildhauer Marwan Rechmaoui. Dieser meint: „Ohne ‚Blut‘ wird es in diesem Land keinen Wandel geben.“
Seine neuesten Arbeiten sind aus dem Schutt der am 4. August zerstörten Galerie entstanden und im mittlerweile renovierten Ausstellungsraum zu sehen.
Zum Jahrestag der Explosion hat sich der kulturMontag in der Kunstszene Beiruts umgehört und Meinungen zur Situation in einem Land eingeholt, das jahrzehntelang von einer offensichtlich korrupten politischen Elite ausgebeutet wurde und die vielen parallel laufenden Krisen nicht in den Griff zu bekommen scheint.
TV-Beitrag: Alexander W. Rauscher
Links:
Sursock Museum
Sfeir-Semler Galerie
Arab Image Foundation
Arab Fund for Arts and Culture
Sharif Sehnaoui
Tanya Traboulsi
kulturMontag