Cold Case

Der konservative Rebell Pier Paolo Pasolini

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Seine künstlerische Biografie ist Erfolgsgeschichte und Skandalchronik zugleich. Am 2. November 1975 wurde der italienische Regisseur und Dichter Pier Paolo Pasolini im Alter von 53 Jahren am Strand von Ostia ermordet, überfahren von seinem eigenen Alfa Romeo, wie das offizielle Ermittlungsergebnis lautete;

Pier Paolo Pasolini
AFP/Ralph Gatti

ermordet von einem siebzehnjährigen Strichjungen, der die Tat auch gestand, später aber sein Geständnis öffentlich widerrief. Ein Rätsel, bis heute. Pasolinis Leben und sein früher, gewaltsamer Tod waren Anlass für eine Vielzahl wüster Spekulationen und Zuschreibungen: War der Mord in Ostia tatsächlich nur die Tat eines Strichjungen

Giuseppe Pelosi
AFP

- eines „ragazzo di vita“, wie Pasolini die subproletarischen Helden seiner frühen Romane nannte? Oder steckte gar eine politische Verschwörung dahinter? Hatte er seinen Tod „gewollt“, war es ein „delegierter Selbstmord“ des Täters, oder war „die ganze italienische Gesellschaft“ schuld an dieser nächtlichen Tragödie am Idroscalo von Ostia? Eine Frage, die bis heute nicht ausreichend beantwortet ist und ganze Heerscharen von Pasolini-Forschern und Künstlerkollegen dazu getrieben hat, regelrechte Helden- und Märtyrerepen zu verfassen. Pier Paolo Pasolini bleibt auch zu seinem 100. Geburtstag eine der widersprüchlichsten und umstrittensten Künstlerpersönlichkeiten der italienischen Nachkriegsgeschichte.

Zeichnung von Pasolini
ORF

Er hat Mauern beschrieben und Papier bemalt, Romane verfasst und Filme gedreht, er hat Theater inszeniert und sein Leben ausgestellt. In allen Medien tritt seine „schwarze, poetische Wut“ zutage, wie Pasolini es selbst einmal in einem Gedicht nannte.

Maria Callas, Pier Paolo Pasolini
APA/Stringer

Der Sohn eines nationalistisch eingestellten Offiziers und einer Bauerntochter aus dem Friaul wurde am 5. März 1922 in Bologna geboren, studierte Kunstgeschichte und Literatur. In Rom lebte er in Elendsvierteln und begann sich mit dem städtischen Proletariat, insbesondere mit dem so genannten Lumpenproletariat auseinanderzusetzen. „Kerle des Lebens“ und „Ein gewaltsames Leben“ sind die Titel zweier seiner herausragenden Prosawerke. Auch in seinen rund 23 Filmen beschäftigte er sich immer wieder mit der Welt der Huren, Stricher und Tagediebe der römischen Vorstadtsiedlungen. Mit Laien verfilmte er das Matthäus -Evangelium, verpflanzte Marquis de Sade in „120 Tagen von Sodom“ in die Spätphase des faschistischen Rest-Regimes von Saló, eine Kleinstadt in der Lombardei.

Pier Paolo Pasolini
APA/AFP/STF

Pasolini, ein verzweifelter Außenseiter, eine zerrissene Figur von nahezu antiker Tragik. Einerseits rechnete er mit dem Katholizismus ab, anderseits trat er vehement für ein Verbot der Abtreibung ein. Er polemisierte er gegen die Konsumgesellschaft, verteufelte aber auch die revoltierende 68-er Generation samt ihren langen Haaren. Wegen seiner als unzüchtig geltenden Schriften musste sich Pasolini in mehr als 20 Prozessen vor Gericht verteidigen, wegen seiner Homosexualität wurde er als „Verderber“ der Jugend gebrandmarkt. „Ich liebe das Leben wild und verzweifelt. Und ich glaube, dass diese Wildheit und diese Verzweiflung mich an mein Ende führen . . . Ich bin skandalös", schrieb er einmal.

Der kulturMontag begibt sich auf Spurensuche nach Bologna und Rom.

TV-Beitrag: Tiziana Aricò

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