Ein vergiftetes Klima
Als vor 80 Jahren die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ bei der unheilvollen Wannsee-Konferenz von hochrangigen Mitgliedern des NS-Regimes beschlossen wurde, war das systematische Morden bereits im Gange. In den letzten fünf Jahren haben die antisemitischen Übergriffe in ganz Europa zugenommen.
In Wien wurde ein Mann beschimpft, weil er eine Kippa trug, eine Familie wurde in einem Park mit Steinen beworfen, weil aufgrund ihrer Kleidung die Mitglieder als jüdisch erkennbar waren. In Österreich wurden 2021 insgesamt 562 antisemitische Vorfälle bei der IKG, der Israelitischen Kulturgemeinde gemeldet. Mit bisher 1.850 Fällen ist die Zahl der antisemitischen Straftaten auch in Deutschland erschreckend hoch - im Durchschnitt sind das sechs Übergriffe pro Tag.
In Frankreich ist von einem neuen Antisemitismus die Rede, manche sprechen gar von „ethnischer Säuberung“. 50.000 Juden haben die Konsequenz gezogen: Sie haben die Vorstädte verlassen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Die Bedrohung ist konkret. Hakenkreuze auf dem Porträt der verstorbenen Politikerin Simone Veil, der Gedenkbaum für den 2016 ermordeten Ilan Halimi abgesägt, 2012 das Attentat auf eine jüdische Schule in Toulouse, drei Jahre später das Attentat auf den koscheren Supermarkt „Hyper Cacher“, schließlich der brutale Mord an Sarah Halimi 2017, kein Jahr später der an Mireille Knoll, einer französischen Überlebenden des Holocaust.
Gründe dafür wollen Experten in den gesellschaftlichen Spannungen erkennen, die deutlich spürbar sind. Insbesondere sind die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen ein Ventil dafür. Die Impfkampagne im Frühling, so die Wahrnehmung der IKG, gab den schon vom letzten Jahr bekannten Akteurinnen und Akteuren wieder Auftrieb und damit auch Verschwörungsmythen und Shoah-Relativierungen.
Welche Zusammenhänge lassen sich aus der Geschichte erkennen, welche Rolle spielen krude Verschwörungstheorien mit antisemitischen Einstellungen, die sich in einer demokratiefeindlichen Haltung manifestieren? Wie lässt sich eine Deradikalisierung vornehmen? Wie sieht heute das Verhältnis von jüdischen und nichtjüdischen Menschen aus?
Diese Fragen diskutiert Peter Schneeberger mit Sashi Turkhof, der Präsidentin der Jüdischen österreichischen Hochschüler*innen und mit der Soziologin und Antisemitismus-Forscherinv Karin Stögner live im Studio.
TV-Beitrag: Sophie Weilandt