Schrecklich schöne Bausünden:
Plattenbau-Paradiese
Der Normverstoß gegen den so genannten guten Geschmack, der Stilbruch, das scheinbar Hässliche: sie sind nicht selten faszinierender und reizvoller als das offensichtlich Gefällige – zumal in der Architektur. Eine vierteilige Doku-Reihe setzt sich mit Bauwerken auseinander, die als architektonische Sündenfälle abqualifiziert wurden, aber heute, aus neuer Perspektive betrachtet, durchaus in ihren Bann schlagen können.

In dieser Folge werden Plattenbauten unter die Lupe genommen: Vor allem seit den 1960er-Jahren massenhaft im Fertigteil-Verfahren schnell und billig hochgezogen, ästhetisch anspruchslos, oft monströs in ihren Ausmaßen. Man mag da an urbane Vereinsamung denken und soziale Randständigkeit. Regisseurin Katharina Röben rückt indes zur Ehrenrettung der Betonburgen aus. Plattenbauten können durchaus Horte sozialer Wärme sein und erfahren in manchen Teilen Europas sogar eine Renaissance.

Wer in Deutschland von der „Platte“ spricht, meint nicht die gute alte Vinylscheibe, sondern die in Verruf geratenen Wohnklötze – in der DDR wie im gesamten kommunistischen Osteuropa einst dominierender Baustil der 1960er- und 70er-Jahre. Auch im Westen wurden die Fertigteilmonstren als anonyme Wohnburgen hochgezogen – man denke an die Berliner Gropiusstadt, in der Christiane F. aufwuchs. Wie soll man mit diesen Relikten überkommener Zeiten umgehen? Abreißen?

Das empfände der Autor Jesse Simon als Frevel – er versteht die Grobklötze als Architektur-Ikonen und hat ihnen als Hommage einen ganzen Fotoband gewidmet. Der Künstler Erik Schmidt offenbart ganz unerwartete Seiten der Gropiusstadt – als Ort der Erinnerung und Gemeinschaft. Das soziale Miteinander wird auch von den Bewohnerinnen und Bewohnern von Harry Glücks Terrassenbauten in Wien- Alt Erlaa stets hervorgehoben.

In Genua führt der Architekturtheoretiker Francesco Bacci Besucher zu einer riesigen Wohnschlange aus Beton, die hoch über der Stadt thront. Er erachtet das vielgehasste Bau-Monstrum als absolut schützenswert.

Und in Paris probt eine Wohnbaugesellschaft die Zukunft der „Platte“ und zeigt, wie die Transformation in lebenswerte und begehrte Quartiere gelingen könnte.
Regie
Katharina Röben