Erich Kästner - Das andere Ich
Mit „Emil und die Detektive“ revolutionierte er 1929 die Kinderbuchliteratur, später prägte er mit seiner Sprache die Neue Sachlichkeit. Auch seine kriegskritische Lyrik stieß auf weltweites Echo. Bis heute entführt Erich Kästner (1899–1974) Kinder und Jugendliche mit klarer Sprache und nüchternem Humor in die Welt der Literatur.
Bereits als Kind hält er seine depressive Mutter vom Selbstmord ab. Ein Ausbilder schindet den Rekruten Kästner während des 1. Weltkriegs so sehr, dass er einen Herzschaden bekommt. Im Berlin der 1920er Jahre durchlebt und erlebt der Autor Kästner ein entfesseltes Jahrzehnt mit Ausschweifungen, Straßenkämpfen und Wirtschaftsmiseren. Als die Nazis seine Bücher und Gedichte verbrennen, steht er unerkannt auf dem Berliner Opernplatz und schaut zu, die geballte Faust in der Manteltasche. Doch Erich Kästner bleibt in Hitlers neuem Deutschland, will Zeitzeuge werden, um später darüber zu schreiben.
Während er im Dritten Reich unter Pseudonym die Unterhaltungsindustrie bedient und zeitweise mit den Teufeln am selben Tisch sitzt, schreibt er Skizzen für die Schublade. Er spürt schon bald, dass er nicht mit einer blütenweißen Weste aus dem Schlamm der Geschichte auferstehen wird. Im Nachkriegsdeutschland schreibt Erich Kästner keinen großen Zeitroman über den Nationalsozialismus. Er schafft es nicht – die Bilder aus den KZs machen ihn ohnmächtig und zeitweise sprachlos. Stattdessen sammelt er Material und Zeitungsausschnitte zum Thema „Doppelgänger“. Das Wissen, sich im Dritten Reich verbogen zu haben, lässt ihn geradezu versteinern. Er greift zum Alkohol und verstrickt sich in Frauengeschichten.
In den 1960er Jahren scheint Kästner klarzuwerden, dass er zwar im Nazideutschland geblieben ist, doch nichts geschrieben hat, dessen er sich zu schämen braucht. Vom Alkohol kommt er nicht los, er findet aber wieder Worte. Mit Reden gegen die Wiederbewaffnung warnt er die Menschen in der Bundesrepublik vor den Verführungen eines totalitären Regimes.
Die Menschen hören ihm zu. Instinktiv erkennen seine Zuhörer, dass dieser lächelnde Mann mit dem Augenzwinkern mehrmals in seinem Leben in den Abgrund geschaut hat. Bis heute spüren seine Leser diese Abgründe und die historischen Verwerfungen in seiner Biografie unter der griffigen Oberfläche.
Regie
Annette Baumeister