Wenn Wände sprechen könnten - Leben im Denkmal
Mein Zuhause, das Denkmal
Wohnen in eben jenen Gemäuern, in denen einst Maria Theresia oder Kaiser Franz Joseph I sommers residierten. Leben im schicken Loft in dem Backsteinbau, der in der Zwischenkriegszeit Sitz des größten Brotherstellers auf dem europäischen Kontinent war. Oder: Leben im durch die Februarkämpfe geschichtsträchtigsten Gemeindebau Wiens, dem Karl-Marx-Hof: Wohnen ist immer etwas zutiefst Persönliches, Individuelles – umso mehr in einem baulichen Denkmal. Atmen alte Gemäuer tatsächlich Geschichte? Was machen sie mit den Bewohnern? Und wenn Wände sprechen könnten – was würden sie erzählen? Regisseurin Dorit Muzicant hat für ihre Doku ganz genau hingehört.
Taxifahrerinnen und -fahrer staunen nicht schlecht, wenn die Kulturpublizistin Gabriela Koschatzky-Elias Schloss Schönbrunn als ihre Heimatadresse angibt. Tatsächlich stehen in Österreichs meistbesuchtem kostenpflichtigen Denkmal, das zum UNESCO-Welterbe zählt, Wohnungen zur Miete. Jene von Frau Koschatzky-Elias war einst als Altersresidenz für Österreichs Bundespräsidenten vorgesehen.
Karl Renner und Theodor Körner lebten dann allerdings – wohl ahnungslos – in einer von den Nazis geraubten Grinzinger Villa. Koschatzky-Elias stößt sich nicht an dem touristischen Rummel rund um ihren Wohnsitz. Die prachtvollen Räume, der barocke Schlosspark sind mehr als nur Kompensation dafür. Zu einem Mietvertrag kam sie, weil ihr Vater Staatsbeamter war und schon seit 1979 im Schloss wohnte. Steht das barocke Schönbrunn im Rang des Versailles Österreichs, so ist der Wiener Karl-Marx-Hof in Wien-Döbling das „Versailles der Arbeiter“.
Und wenn die dort logierende Hausbesorgerin Bernadette Lorenz auch nicht auf einen Schlosspark blickt, dann doch auf die weitläufigen Grünflächen der Anlage. Entstanden zwischen 1927 und 1933, in der Blütezeit des so genannten „Roten Wien“, ist sie mit einer Erstreckung von über einem Kilometer der längste zusammenhängende Wohnbau Europas. Aufgrund der Dimension auch als „Superblock“ bekannt, ist der Karl-Marx-Hof Ausdruck der so genannten „Monumentalarchitektur“. Seine Wände erzählen auch von finsteren Zeiten: Im Februar 1934 herrscht Bürgerkrieg in Wien. Der Karl Marx Hof wird Schauplatz blutiger Gefechte. Vorausgegangen sind den Februarkämpfen Jahre der Verzweiflung, der Weltwirtschaftskrise und ein immer autoritärer agierender Staat unter Engelbert Dollfuß.
Schicke, moderne Funktionalität, eingepflanzt in einen alten Backsteinbau: In fünfjähriger Bauzeit hat der Künstler Philipp Penz sein Loft in der Anker Brotfabrik in Wien Favoriten errichtet. Die Firmengeschichte der Fabrik reicht bis ins vorletzte Jahrhundert zurück. 1891 durch die Brüder Heinrich und Fritz Mendl gegründet, entwickelte sie sich in den folgenden Jahren zum größten Brothersteller Europas. 1938 wird die jüdische Inhaberfamilie von den Nazis enteignet.
Lange wusste Penz nicht, dass das Gebäude auch als Lager für jüdische Zwangsarbeiter diente. Dass er in dem alten – historisch belasteten – Kontext Neues geschaffen hat, ist ihm besonders wichtig.
Ein Menschenleben verläuft nicht linear – es ist voller Unebenheiten. Diesen Gedanken implementierte Friedensreich Hundertwasser auch in seine Architektur: keine gerade Fläche, keine ebenen Böden befinden sich in dem von ihm entworfenen Gemeindebau in Wien-Landstraße, dessen Grundsteinlegung 1983 erfolgte.
Elfriede Koller-Forte ist Malerin, war persönlich mit Hundertwasser bekannt und ist Mieterin im Haus. Die Architektur inspiriert sie, die organische Bauweise weiß sie zu schätzen – und die Terrasse ihrer Wohnung dient ihr als Freilichtatelier.
Regie
Dorit Muzicant