Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Andreea Wende
kulturMONTAG

Schrecklich schöne Bausünden

Brutalistische Betonklötze

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Der Normverstoß gegen den so genannten guten Geschmack, der Stilbruch, das scheinbar Hässliche: sie sind nicht selten faszinierender und reizvoller als das offensichtlich Gefällige – zumal in der Architektur. Eine vierteilige Doku-Reihe setzt sich mit Bauwerken auseinander, die als architektonische Sündenfälle abqualifiziert wurden, aber heute, aus neuer Perspektive betrachtet, durchaus in ihren Bann schlagen können.

Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Benjamin Wistorf
Nach Entwürfen des Architekten Denys Lasdun, einem der wichtigsten Vertreter der britischen Nachkriegsmoderne, wurde das Royal National Theatre in den Jahren 1967 bis 1976 erbaut

In dieser Folge werden in die Landschaft geklotzte Betonbauten ins Visier genommen, die als brutalistisch bezeichnet werden. Der Fachbegriff leitet sich von Französischen „béton brut“ ab: Roher Beton, kantig, ungeschlacht – und eigentümlich faszinierend.

Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Dag Freyer
Das Kloster La Tourette in der Nähe von Lyon gilt als Meisterwerk des wohl einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts: Le Corbusier

Was ist das nur für ein architektonisches Monster? Aus der bewaldeten Stille eines Hügels ragt ein brutaler Betonbau. Man ringt unwillkürlich um Worte und Erklärungen für den ästhetischen Schock, den ein zerbrochenes postapokalyptisches Raumschiff wie das Kloster „Sainte Marie de la Tourette" im französischen Eveux auslöst. Erbaut wurde es von Architektur-Genie Le Corbusier, dem Begründer des Brutalismus.

Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Benjamin Wistorf
Charles Desjobert ist in zwei Welten zuhause: Einerseits Ordensbruder der Dominikaner, andererseits Architekt. Er ist einer von 9 Brüdern, die in La Tourette leben.

Charles Desjobert ist Dominikanerbruder und Architekt in Personalunion und verspürt nichts als Begeisterung für den denkmalgeschützten Sakralbau – und macht begreiflich, wie hier brutalistisches Äußeres und innere Einkehr zur Symbiose finden.

Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Benjamin Wistorf
Das Royal National Theatre wurde von der Londoner Bevölkerung sowohl unter die zehn beliebtesten als auch unter die zehn meistgehassten Gebäude in London gewählt

Das Royal National Theatre in London verstört mit seiner rohen Betonfassade – um dann mit seinen einladenden Foyers zu überraschen und seine Seele als Theaterfabrik zu offenbaren.

Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Benjamin Wistorf
Das Royal National Theatre in London, ein Musentempel aus Beton

Und die „Schlange“ in Berlin? Ein 600 Meter langer Wohnblock in der Schlangenbader Straße, durch dessen Bauch eine Autobahn führt? Dort möchte man nicht wohnen, sollte man meinen. Doch das Gegenteil ist der Fall: die Wohngemeinschaft ist zusammengeschweißt und stolz auf ihre Adresse.

Schrecklich schöne Bausünde
ORF/3B-Produktion GmbH/Vito Becker
1.758 Wohneinheiten auf 600 Metern und mittendurch führt die Berliner Stadtautobahn. In den 70er Jahren war die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße eines der kühnsten Bauprojekte Westberlins.

Brutalistische Bauten haben ein Herz aus Beton. Sie sind architektonische Punks, sie provozieren. Regisseur Dag Freyer geht dem Wesen des Baustoffs Beton auf den Grund: Warum fasziniert er Architekten so sehr? Warum geht seine Ära möglicherweise zu Ende? „Brutalismus“ kommt nicht von „brutal“, doch ihr Image als „Bad Boys“ im Stadtbild schreckt die Liebhaber der Betonklötze nicht ab – im Gegenteil. Denn manche sind eben auch: schrecklich schön.

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Regie

Dag Freyer