Gender, Queer, Wir - Identität im Wandel
Alte Gewissheiten brechen weg, gesellschaftliche Konventionen werden gesprengt: Was die einen ratlos, nicht selten auch wütend zurücklässt, wird von anderen als Befreiungsschlag gefeiert. Nemo aus der Schweiz balanciert im knappen Röckchen beim ESC auf einer Drehscheibe, zieht nicht nur musikalisch alle Register von Falsett bis Rap und holt so den Sieg für die Schweiz. „Ist die Person ein Mann oder eine Frau?“ fragen sich viele. Nemo will beides nicht sein und beides zugleich. So steht der Act für eine Welt, die sich zusehends von einem binären Denken verabschiedet.
Anlässlich des Pride Month zeigt die ORF-Kulturabteilung eine brandneue Dokumentation von Stefan Wolner und Anna Katharina Wohlgenannt, die aus kulturhistorischer und gesellschaftspolitischer Sicht an den Fragen von Geschlecht und Identität rührt: Was ist Geschlecht? Wie viele Geschlechter gibt es tatsächlich? Und wer hat darüber die Deutungshoheit?
Soziale Netzwerke spielen eine fundamentale Rolle, sowohl bei der Identitätssuche und Selbstfindung junger Menschen als auch bei bisweilen orchestrierter Gegenwehr:
„Wir beobachten seit 20 Jahren, seit den Aufkommen von sozialen Netzwerken, eine Emotionalisierung der Gesellschaft“ stellt Politikwissenschaftlerin Anna Durnová fest, die darin den Ausgangspunkt einer immer stärker polarisierten Gesellschaft sieht, was sich auch an der Genderdebatte ablesen lasse.
Sophie Mashraki identifiziert sich als nicht-binär: „Ich definiere mich einfach nur als Ich.“ Mashraki besitzt die erste queere Modelagentur Österreichs und jobbte neben Regiearbeiten in der freien Theaterszene Wiens lange Zeit selbst als Model, bekam allerdings kaum Aufträge. Die Suche nach einer passenden Agentur war schwierig. Der deutschsprachige Fashionmarkt für Models, die vom Heteronormativen abweichen und „weder weiß, blond noch blauäugig sind“, ist nicht sehr groß, weswegen Sophie sich entschied, eine eigene Agentur zu gründen. Diversität ist ein Trend, aber auch ein notwendiger gesellschaftlicher Fortschritt, ist Mashraki überzeugt.
In seinen Arbeiten gehe es darum, Stereotypen aufzubrechen und das, was man dem Männlichen zuordnet, neu zu schreiben, neu zu überschreiben und neu zu definieren: der Künstler Offerus Ablinger porträtiert in seinen Arbeiten wie der Gemäldeserie „Trans Mask“ Menschen aus der queeren Subkultur.
Sie reizen viele Menschen bis zur Ausfälligkeit - Kinderbuchlesungen von Drag Queens: Diese seien „Transpropaganda“, durch die Kinder vor der Zeit sexualisiert werden. Dabei handelt es sich bei Drag Queens zunächst einmal um eine Kunstform. Drag Queen Freya van Kant erzählt von den massiven Gewaltandrohungen, mit denen sie ständig konfrontiert ist.
„Schule muss ein sicherer Ort sein, um erwachsen zu werden“ meint Ilse Rolett, Direktorin der AHS Rahlgasse.
In ihrer Schule gibt es viele Kinder und Jugendliche, die „einmal ausprobieren wollen: Jetzt bin einmal ein halbes Jahr ein Bub. Jetzt bin einmal ein halbes Jahr ein Mädchen. Jetzt bin ich einmal ein halbes Jahr non-binär.“