
Ernst Jandl - Der Sprachformer
Ernst Jandl war nicht nur einer der mutigsten und radikalsten Schriftsteller und Lautdichter Österreichs, er war auch ein begnadeter Performer. Mit subversivem Humor, literarischer Präzision und dem Wechsel zwischen Dialekt und Hochsprache lotete er die Grenzen der Sprache aus, um sie gleichzeitig neu zu formen.
Geprägt von Kindheit und Jugend in den 1930er Jahren sowie der Erfahrung von Nationalsozialismus und Kriegsgefangenschaft, wurde Jandl zur unermüdlichen Stimme gegen Krieg, Enge und sprachliche Konventionen. Seine Texte stehen für eine radikale Form der Freiheit: ernst in der Haltung, verspielt im Klang und offen für Experimentelles. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf der Bühne. Seine Auftritte, oft mit Metronom einstudiert, waren präzise inszenierte Klangkunst. Musik, besonders Jazz, war seine große Leidenschaft. Die US-amerikanische Jazzsängerin Lauren Newton, langjährige Bühnenpartnerin von Ernst Jandl, erinnert sich an die gemeinsamen Auftritte und sein feines Gespür für Musik. Auch das Dialekt-Duo Attwenger, von Jandl als Inspirationsquelle genannt, kommt im Film zu Wort.
Bevor Jandl sich ganz dem Schreiben widmete, unterrichtete er an einem Wiener Gymnasium Deutsch und Englisch. Später hat er die Begeisterungsfähigkeit von Kindern für Sprache und den kreativen Umgang mit Sprache auch immer wieder betont. Angeregt durch Jandls Texte entdeckte auch der Autor Michael Stavarić bereits als Jugendlicher seine eigene Sprache. Heute schreibt er Lyrik, Romane und Kinderbücher und ist Gastdozent an der Uni Wien. Und auch die Lyrikerin Lydia Haider, bringt in der Reihe „Toter Salon“ eigene, von Jandl beeinflusste Texte auf die Bühne.
Wie aktuell Jandls Sprache bleibt, zeigen Projekte zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Jörg Piringers digitale Performance, bei der er mithilfe selbst entwickelter Algorithmen Jandl Texte interpretiert, ist ein Zeichen dafür, dass Jandls Sprache auch im digitalen Zeitalter Raum findet. Ein aktuelles Jugendprojekt ruft junge Menschen dazu auf, Jandls Texte oder auch eigene Gedichte im Jandl-Stil als Instagram-Reels neu zu interpretieren.
Jandls Weg zur Anerkennung war dennoch alles andere als einfach. Seine frühen Texte stießen auf Unverständnis, seine Auftritte wurden belächelt oder abgelehnt. Unbeirrbar verfolgte er jedoch seinen Weg: Einen frühen Höhepunkt markierte sein legendärer Auftritt 1965 bei der International Poetry Incarnation in der Londoner Royal Albert Hall, wo er neben Beat-Ikonen wie Allen Ginsberg auftrat. Die verdienten Würdigungen - darunter das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich - kamen spät.
Hundert Jahre nach seiner Geburt lebt Jandls Sprache weiter. Gerade junge Menschen entdecken den Autor vielfach neu für sich. Menschen auf der Straße lesen im Film seine Texte und bringen damit zum Ausdruck, was Jandl immer war: ein Dichter für alle.