Erbe Österreich
Prostitution unter dem Doppeladler
Das Geschäft mit der Liebe, war immer vor allem eins: Ein Geschäft. Junge, mittellose Frauen waren die Ware. Sie auszubeuten war nicht schwer. Nicht die Geschichtsbücher, sondern Gerichtsakten, Zeitungsartikel, Tagebücher oder ein längst vergessener Bordellroman dokumentieren das Leben von Prostituierten um 1900.
Gerichtsakten, stumme Zeitzeugen
Der Fall der Komtesse Mizzi ist eines der spektakulärsten Prostitutions-Gerichtsverfahren um 1900. Mizzi Veith war nicht auf den Mund gefallen und flott unterwegs. Dass ihr Vater immer in der Nähe war und mit den feinen Herren verhandelte bevor sie mit Mizzi ins Separee gingen, machte ihn für viele verdächtig. Schließlich kam es zum Verfahren gegen ihn wegen Kuppelei. Seit ihrem 12. Lebensjahr hatte Marcel Veith das Mädchen an sexuelle Handlungen gewöhnt und sie ab ihrem 14. Lebensjahr an Herren verkauft. Er und die Mutter, Anna Veith, lebten gut von ihrem „Schandlohn“.
Aus den Polizei-Akten kann man auch herauslesen, dass sich um 1900 auffallend viele Frauen unter den BordellbetreiberInnen und „UnterstandsgeberInnen“ finden. Man sollte aber nicht dem Irrtum unterliegen, dass die Frauen rücksichtsvoller zu den Prostituierten sind, als die männlichen Kollegen. Noch eines haben BordellbetreiberInnen beider Geschlechter gemein: sie verdienen gutes Geld. Für die Prostituierten bleibt kaum etwas über. Sie werden geschröpft, bis sie nicht mehr können, und dann in niedere Etablissements verkauft.
Auch auf Madame Riehl trifft das zu. Sie kommt 1906 wegen Kuppelei vor Gericht und zeigt sich gar nicht einsichtig. Dabei hat sie die Frauen wie in einem Gefängnis gehalten. Nicht einmal Kleider durften sie tragen, damit sie ihr nicht davon laufen. Lohn bekam man bei Madame Riehl keinen, dafür Schläge.
Ein vergessener Bestseller
Beim Prozess sitzen sowohl die Autorin Else Jerusalem als auch Karl Kraus auf der Zuschauerbank. Beide stören sich an der Bigotterie der Gesellschaft in der Prostitutionfrage. Doch während Kraus zu glauben geneigt ist, dass Prostituierte ihren Beruf voller Lebenslust ausüben und sich mit Hilfe ihrer Reize ein besseres Leben verschaffen, schärft Else Jerusalem den Blick auf die Machtverhältnisse in der Branche. In ihrem Roman „Der heilige Skarabäus“ seziert sie die Prostitution als Geldmaschinerie und zeichnet ein feincoloriertes Bild vom Leben aus der Sicht der Prostituierten - abseits des Spektakels, das für die Freier veranstaltet wird. Else Jerusalem fängt mit ihrem feinen Gehör auch die Sprache der unterschiedlichen Stände und Ethnien um 1900 ein.
Die Dialoge aus dem Buch eröffnen einen direkten Kanal in die Welt von gestern. Wie dieses Gespräch dreier Prostituierter: "Umaziagn in die Etablissmenter kost‘ a Marter Geld und nachher is allweil a Risiko.„ “Weil dö Kellner schuftig san und Gauner, blech'n mußt' eahna z'erscht.„ “Auf a Nachtmal kommst immer, monchmol auch merr." „Pfui Teufel!“ „Dö ungarische Funzen!“ "Die geht für a Gollasch! „Gollasch is serr gutt!“
Else Jerusalems Buch „Der heilige Skarabäus“ verkauft sich in 22 Auflagen, bevor es in Vergessenheit gerät. Nicht zuletzt weil es 1938 von den Nationalsozialisten als „Unsittlichkeitsroman“ verboten wird.
Missbrauch und Rechtfertigungskampf
Kraus' oberflächliche Sicht auf die weibliche Sexualität erfüllt nicht zuletzt eine Funktion: sie steht seiner sexuellen Stimulation nicht im Wege. So kann er ohne Bedenken die 14 jährige Irma Karczewska ihren Eltern abnehmen. Der Zweck der Abnahme ist eindeutig: der um 16 Jahre ältere Karl Kraus hat allen voran ein sexuelles Interesse an dem Mädchen. Ihn wird dieses seltsame Arrangement ein kleines Vermögen kosten - bis er das Interesse an ihr verliert. Ihr kostet es letztendlich das Leben.
20 Jahre später haben sich die Zeiten geändert. Mädchenhandel und Kindesmissbrauch wird nicht mehr mit selbstverständlicher Diskretion begegnet. Das muss auch Adolf Loos erfahren. Ihm wird vorgeworfen drei Mädchen sexuell missbraucht zu haben die er unter dem Vorwand sie zu zeichnen zu sich nach Hause mitgenommen hat. Die Mädchen gehören dem Lumpenproletariat an und umso erstaunlicher ist es, dass ihre Aussagen ernst genug genommen werden um eine Anklage auszulösen.
Doch das Machtgefälle wird spätestens im Prozessverlauf sichtbar. So gut wie alle Experten und Gutachter können zu Loos persönlichem Umfeld gezählt werden. Anstatt Loos anzulasten, dass er eben solche Mädchen missbraucht, die sich auf Grund prekärer Verhältnisse und bereits erlittenem Missbrauch nicht wehren, werden die Kinder als verdorben und unglaubwürdig verunglimpft.
„Prostitution unterm Doppeladler“ erzählt vom Leben der Frauen und Männer um 1900, insbesondere vom Leben der Prostituierten und von deren sexueller Ausbeutung durch Männer, die auf allen Ebenen mächtiger waren als sie. Sie hatten die Macht über das Wort, über das Geld und über das Gesetz.
Film von Patrice Fuchs