Zwei Seiten der Medaille
Chemnitz, von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt, ist nach Leipzig und Dresden die drittgrößte Stadt in Sachsen. Zu DDR-Zeiten als Industrie- und Arbeiterstadt noch sozialistisches Vorzeigebeispiel, begann nach der Wende die große Abwanderung. Um die 70 000, vor allem junge Menschen, verließen die Stadt.

2018 sorgten tagelange rechtsextreme Ausschreitungen in Chemnitz für Negativschlagzeilen. Bei einem Stadtfest in Chemnitz wird ein Deutschkubaner von zwei Geflüchteten aus dem Irak und Syrien erstochen. Binnen kürzester Zeit machen Neonazis aus ganz Deutschland mobil. Es kommt zu tagelangen Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen in Chemnitz. Mit dabei ist auch AfD-Politiker Björn Höcke, mittlerweile eine Leitfigur der als rechtsextrem eingestuften Partei. Die AfD erreicht im Wahlkreis Chemnitz bei sämtlichen Wahlen der letzten Zeit das stärkste Ergebnis.

Eine Zäsur in der Stadtgeschichte war auch, dass Chemnitz jahrelang als Versteck der Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund diente. 14 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU wurde jüngst das deutschlandweit erste Dokumentationszentrum in der Kulturhauptstadt eröffnet. Es ist den Opfern des rechtsextremistischen Terrors gewidmet. Zwischen 1998 und 2011 ermordete das NSU-Trio 10 Menschen, 9 davon mit Migrationshintergrund, viele weitere wurden bei Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen verletzt.

Auf eine wechselvolle Geschichte blickt diese rund 250 000 Einwohner zählende Stadt zurück, die trotz ihres reichen Kultur- und Industrieerbes sich nie zu einem Touristenmagneten entwickelt hat und nach wie vor mit ihrem Ruf als Hochburg der rechtextremistischen AfD kämpft. „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer…“ singt die deutsche Band „Kraftclub“, der wohl berühmteste Musikexport, über ihre Heimatstadt.

Auch wenn der einstige Namensgeber nie hier war, ist er in der Stadt omnipräsent. Allein die megalomanische Portraitbüste von Karl Marx, ein sowjetisches Relikt mitten im Zentrum, ist längst zum Wahrzeichen der Stadt geworden.

Dass „das Tor zum Erzgebirge“ wesentlich mehr zu bieten hat, soll jetzt mit dem Prädikat „europäische Kulturhauptstadt“ zum Vorschein kommen. Unter dem Motto „C the Unseen“ will man in Chemnitz 2025 nun zeigen, dass es vieles zu entdecken gibt. Dabei wird klar: Liebe auf den zweiten Blick ist möglich.
TV-Beitrag: Sophie Weilandt