Ein Prophet im eigenen Land

James Baldwin zum 100. Geburtstag

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Schmaler Schlips, schlichter Anzug und ein markantes Gesicht – schwarz und schwul, mutig und empfindsam: James Baldwin war das Gesicht der US-amerikanischen Gleichberechtigung, Bürgerrechtsaktivist und Schriftsteller, dessen Texte von seltener Wucht und Klarheit zeugen. Vor 100 Jahren wurde James Baldwin in eine rassistische Welt himmelschreienden Unrechts geboren.

James Baldwin
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In seinen Romanen und Essays und als Aktivist suchte er nach Wegen der Veränderung – und zwar ohne Hass. Es war ein Schock für Baldwin, der am 2. August 1924 in Harlem, New York, als ältestes von neun Kindern in tiefer Armut aufwuchs, als er erkannte, dass ihm die Flagge, der er die Treue geschworen hatte, ihm keine Treue schwören würde. Dass das Land, in das er geboren wurde, keinen Platz für ihn hatte. Der Schriftsteller erzählt von den Diskriminierungen durch Polizisten, Taxifahrer, Vermieter. Schreibt über das, was er kennt und klagt an: dass seine Landsleute ihm die Rechte als Amerikaner nicht geben wollen. Und stellt klar: „Ich bin einer der Leute, die dieses Land aufgebaut haben. Ich habe die Baumwolle gepflückt. Ich habe die Eisenbahngleise gelegt.“

James Baldwin
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Jimmy, wie alle ihn nannten, las zum Ärger seines bildungsfeindlichen Vaters wie verrückt. Dostojewski etwa, als er noch keine zehn Jahre alt war, Shakespeare oder Henry James. Den größten Einfluss hatte aber die Bibel und die Kirche. Mit 14 wurde er erfolgreicher Jugendprediger. Es war ein Akt der Verzweiflung, wie er später erklärte, um der Brutalität und Ausweglosigkeit zu entfliehen. Andere Gleichaltrige gaben sich dem Whiskey und der Nadel hin, wurden kriminell oder nahmen sich das Leben. In der Kirche erlebte der spätere Schriftsteller die Macht des Wortes, dort übte er seine Rhetorik ein.

Cover "James Baldwin. Der Zeuge"
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37 Jahre nach seinem Tod ist der Autor und Aktivist, der als erster schwarzer Schriftsteller auf dem Titelblatt des „Time Magazine“ landete, so präsent wie seit den 60er Jahren nicht mehr. Die „Black Lives Matter“-Bewegung kürte ihn zu ihrer Galionsfigur, kämpfte er doch gemeinsam mit seinem Freund Martin Luther King auf der Straße wie in seinen Romanen gegen Rassismus, Gewalt und Unterdrückung.

Diverse Bücher von James Baldwin
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„Da ist alles dabei von Wut bis zu einer seltenen Zärtlichkeit“, urteilte etwa sein Schriftsteller-Kollege Paul Auster. Der eindrucksvolle Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ über die Biografien von Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers, der auf Baldwins Fragment basiert, wurde für den Oscar nominiert und allein auf YouTube mehr als zwei Millionen Mal angeklickt. Sein Roman „Beale Street Blues”, eine bewegende Hommage an die Liebe wurde 2018 von Hollywood verfilmt.

René Aguigah
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Es ist ein Triumph mit bitterer Note. Denn nach einem halben Jahrhundert sind Baldwins Beobachtungen und Botschaften nach wie vor aktuell. Diskriminierung, Gewalt, Polizeibrutalität und Rassismus gehören bis heute zum Alltag schwarzer Amerikaner. Ganz ohne Politik sei James Baldwin nicht zu haben, seine Literatur zähle zu Recht heute zu den Klassikern Amerikas, ist der Kulturjournalist René Aguigah überzeugt.

Über Aguigahs kürzlich erschienene Biografie „James Baldwin, Der Zeuge“ und über die Wiederentdeckung des Autors spricht Peter Schneeberger mit Renè Aguigah live im Studio.

TV-Beitrag: Imogena Doderer

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