Noch ist Polen nicht verloren
Für europäische Polit-Kommentatoren war es eine der wichtigsten Wahlen des vergangenen Jahres in Europa. Für die Journalisten des „Guardian“ wäre ein weiterer Sieg Jarosław Kaczynskis und seiner PiS Partei ein nächster Schritt Richtung „totalitäre Demokratie“, eine Niederlage hätte für die irischen Kollegen eine positive Neugewichtung innerhalb der EU bedeutet. Befinde sich doch die Europäische Union in einer Zeit, in der sie mit gewaltigen geopolitischen Herausforderungen konfrontiert sei, deren Bewältigung einen Geist der Einheit erfordere.
Eine strittige Justizreform, heftige Auseinandersetzungen mit der EU samt mehreren Rechtsverfahren, ein fast totales Abtreibungsverbot, regierungskonforme Medien, die als Propagandainstrument eingesetzt wurden, wie auch üppige Sozialprogramme - das ist die Bilanz der acht-jährigen Regierungszeit der rechtspopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“, in der sie Gesellschaft, Staat, Medien und Kulturbetriebe umgebaut hat. Bei der Wahl im Oktober 2023 wurde die rechtsnationale PiS-Partei zwar erneut stärkste Kraft, fand aber keine Koalitionspartner. Die Wählerschaft sorgte für einen Machtwechsel, indem es ein Bündnis der Opposition mit einer Mehrheit im Sejm ausstattete.
Der neue Ministerpräsident Donald Tusk, ein glühender Europäer, versucht mit seiner Koalition zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren und einen Kulturwandel in seiner tief gespaltenen Heimat zu evozieren. Er löste etwa die öffentlich-rechtlichen Medien auf, erklärte die umstrittene Justizreform als verfassungswidrig und will als ausgewiesener Pro-Europäer die EU-Skepsis des Landes überwinden.
Wie sehen Kunst– und Kulturschaffende die Veränderungen? Etwa der Anchorman des Nachrichtensenders TVP Maciej Orłoś, der kurz nach der Machtübernahme der PiS Regierung seinen Job verloren hatte und jetzt wieder an Bord ist. Oder die Kuratorin Marta Czyz, die den Polen-Pavillon auf der 60. Biennale verantwortet und den ursprünglich dafür vorgesehenen rechtsgerichteten Maler durch ein ukrainisches Kollektiv ersetzte.
Der kulturMontag mit einer Reportage aus Warschau.
TV-Beitrag: Madeleine Geosits & Sophie Weilandt