Revolution & Widerstand

Milo Rau & die Wiener Festwochen

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„Wir schulden der Welt eine Revolution“. Unter diesen markigen Leitspruch stellt Neo-Intendant Milo Rau seine erste Ausgabe der Wiener Festwochen und die sind bereits Wochen vor der Eröffnung in aller Munde und lösen schon im Vorfeld aufgeheizte Debatten in Politik wie Gesellschaft aus. Im Februar entzündete sich die Kontroverse um die Einladung des russisch-griechischen Dirigenten Teodor Currentzis angesichts des Ukraine-Krieges und seit Wochen wird gegen das Festival der Antisemitismusverdacht geschürt, der diese Woche in der „Rede an Europa“ des israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm auf dem Wiener Judenplatz gipfelte.

Omri Boehm Rede Judenplatz
APA/Roland Schlager

Sein Eintreten für eine israelisch-palästinensische Föderation im Gegensatz zur Zwei-Staaten-Lösung rief Kritik von Ariel Muzikant, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses und Oskar Deutsch, Präsident des Israelitischen Kulturgemeinde hervor. Beide verurteilten im Vorfeld den Inhalt der Rede wie auch den Ort. Für Deutsch sei die Stadt Wien dafür verantwortlich, dass Leute zu den Festwochen gebracht werden, die den Antisemitismus fördern. In eine ähnliche Kerbe schlug auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der Boehm im Zusammenhang mit Israel für eine „ganz krude Analyse“ kritisiert.

Zuschauer Rede Omri Boehm Judenplatz
ORF

Omri Boehms Rede, in der er die Bedeutung der unantastbaren Menschenwürde wie auch die Europäische Union als einzigartiges Friedensprojekt unterstrich, wurde nur von stummen Protesten begleitet. In Boehms Utopie eines föderalen Staates, in dem Juden und Palästinenser gleichberechtigt zusammenleben, müsse es eine Anerkennung der Traumata geben, auf beiden Seiten. Das Zusammenspiel aus geplanter Provokation und reflexartigen Protesten hatte für eine Stunde eine Art Gemeinschaft im Dissens hervorgebracht. Die Rede regte zum Nachdenken, zum eigenständigen Denken, zum Dialog an. Und genau darauf setzt der Intendant mit seinen Festwochen.

Milo Rau
ORF

Milo Rau, ein politischer Mensch durch und durch. In Wien herrschte Euphorie, als er Anfang 2023 zum Intendanten der Wiener Festwochen bestellt wurde. Ein „Theaterrevolutionär“, ein „Brisanzgarant“ oder gar „der größte Windmacher im Theaterbetrieb“ begeisterten sich die nationalen wie internationalen Zeitungen. Einer der „bedeutendsten Regisseure, dessen Biografie wie maßgeschneidert zum Leitbild des Festivals“ passe. Als Chef des Niederländischen Theaters in Gent verfasste er ein Manifest für sein Haus, in dem er festhielt, die Welt nicht bloß darstellen zu wollen, sondern sie auch zu verändern. Auch in Wien wolle er ein „mythisches, gewaltiges, umstrittenes Theaterfest schaffen, ein diverses, leidenschaftliches und vor allem kämpferisches Welttheater“.

Pressekonferenz Wiener Festwochen 2024
APA/Eva Manhart

Für die Stadt wolle er ein eigenes, unverwechselbares Manifest erarbeiten. „Wie kann eine Selbstermächtigung der Zivilgesellschaft aussehen“ lautet eine der zentralen Fragen, der er während des Festivals nachgehen will. Milo Rau hat dafür die Wiener Festwochen zur Freien Republik erklärt. Mit den „Wiener Prozessen“ sollen reale Richter und Juristen wesentliche gesellschaftliche Themen verhandeln. Etwa die Rolle der Medien während der Corona-Pandemie. Damit will Rau einen Diskursraum eröffnen und Politik, Medien, Aktivist:innen und die Kunstszene zur Verantwortung ziehen.

Namen - Rat der Republik - Wiener Festwochen 2024
Wiener Festwochen

Die Mitglieder des Rates der Republik wie Sandra Hüller, Annie Ernaux, Kirill Serebrennikov, Carola Rackete, Jean Ziegler, Elfriede Jelinek und eine vielfältige Gruppe von 70 Wiener:innen bilden das Zentrum der Freien Republik. Nach intensiven Debatten halten sie am Ende des Festivals ihren Willen als Souverän in der Wiener Erklärung fest und gestalten damit die Zukunft der Festwochen entscheidend mit.

"Barocco" - Wiener Festwochen 2024
Wiener Festwochen/Fabian Hammerl

Auf der Bühne treffen große Namen der internationalen Theaterszene auf radikale Performance-Künstler:innen. Etwa der renommierte russische Regisseur Kirill Serebrennikow, der mit „Barocco“ ein Gesamtkunstwerk aus Kompositionen von Bach, Monteverdi, Händel, Rameau und Vivaldi kreieren will.

Florentina Holzinger
APA/Eva Manhart

Die österreichische Performance-Künstlerin Florentina Holzinger will Bühnengenres und Sehgewohnheiten in ihren exzessiven Inszenierungen pulverisieren. In „Sancta“, das sich auf Paul Hindemiths Oper bezieht, untersucht sie gemeinsam mit Opernsängerinnen, Sexarbeiterinnen und Body-Modification-Artists die Zurichtung weiblicher Identität und Körper in religiösen Systemen und Riten.

„La Clemenza di Tito“ - Wiener Festwochen 2024
Wiener Festwochen/Annemie Augustijns

Rau selbst knöpft sich Mozarts letzte Oper „La Clemenza di Tito“ vor. Gemeinsam mit 18 in Wien lebenden Menschen, die teils selbst Erfahrungen mit repressiven Systemen gemacht haben, hinterfragt er die Macht der politischen Kunst.

Der kulturMontag mit einem Überblick. Über die Neuausrichtung der Wiener Festwochen, über Teilhabe, Kunst und Politik, Provokation und Dialog spricht Clarissa Stadler mit Milo Rau live im Studio.

TV-Beitrag: Katharina Huemer

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