Ein glühender Europäer
Er gilt als leidenschaftlicher Verfechter der Europäischen Union, der sich seit Jahren literarisch mit der Idee eines demokratischen, geeinten Europas auseinandersetzt. Robert Menasse ist, wie er selbst sagt, ein Europa-Prediger. Vergangenen Sommer hat der österreichische Schriftsteller im Aachener Dom, in der Europastadt, ein Mahnwort mit dem Titel „Glaube an Europa“ vorgetragen. Aber auch in seinen Romanen „Die Hauptstadt“, wofür er mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde oder „Die Erweiterung“ befasst sich der 69-Jährige engagiert mit der EU.
Während die literarischen Stoffe von ihrem fantastischen Witz leben, wird in Interviews schnell klar: Menasse ist es mit seiner Brüssel-Liebe bitterernst. Kurz vor der Europawahl, die Anfang Juni stattfindet, legt der Autor mit seinem Buch „Die Welt von morgen“ jetzt nach. Menasse besinnt sich dafür auf Stefan Zweig und seine Erinnerungen, die er kurz vor seinem Tod in „Die Welt von gestern“ festgehalten hat.
Wurde dieses Europa von der faschistischen Barbarei „weggewaschen ohne Spur“, bekam es nach 1945 eine zweite Chance. Visionäre stießen ein epochales Friedensprojekt an, Grenzen fielen, der Nationalismus wich der Kooperation. Doch auch dieses Projekt könnte schon bald Geschichte sein, ist Robert Menasse überzeugt.
Inflation, Energiekrise, steigende Staatsverschuldung, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, löchrige Außengrenzen. Der wirtschaftliche Zustand Europas wirkt düster, insbesondere in geopolitisch gefährlichen Zeiten wäre ein starkes, dynamisches Europa der beste Garant für Prosperität und Sicherheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, fordert Menasse in seinem Text ein. Dazu kommt der Eindruck, europäische Politik sei bürokratisch und bürgerfern, gefangen in Streitereien über Verteilungsfragen. Demokratische Defizite führen zu Protest, mannigfaltige Krisen machen den Menschen Angst.
In vielen Mitgliedsstaaten würden Politiker, die von den Erfahrungen der Gründer nichts mehr wissen wollen, einen neuen Nationalismus schüren. In seinem Buch erklärt und verteidigt Menasse die europäische Idee, lädt aber auch dazu ein, die systemischen Widersprüche der Union zu kritisieren und zu überwinden. Die Alternative, vor der wir stehen, sei nicht kompliziert: Entweder gelinge das historisch Einmalige, nämlich der Aufbau einer nachnationalen Demokratie, oder es drohe ein Rückfall in das Europa der Nationalstaaten.
Steht Europa heute wieder am Scheideweg? Und wie wird die Welt von morgen aussehen? Über das epochale Friedensprojekt und ein zunehmend gespaltenes Europa diskutiert Peter Schneeberger mit Robert Menasse live im Studio.
TV-Beitrag: Katja Gasser