Land in Sicht
Viele kennen den Lungau nur aus dem Wetterbericht – als Kältepol Österreichs. Als Kulturregion haben die wenigsten Menschen den südöstlichsten Teil des Salzburger Landes auf ihrem Radar. Ein guter Grund für den kulturMontag, die Koffer zu packen und ins Innergebirg zu reisen! Für die zweite Ausgabe unserer Serie „Land in Sicht“ macht sich Clarissa Stadler auf die Suche nach neuen kulturellen Impulsen in der alpinen Tauernregion und entdeckt Menschen, die mit enormer Leidenschaft und Energie Kulturprojekte stemmen.

Nur 1000 Quadratkilometer groß ist der Lungau und etwas mehr als 20.000 Menschen leben hier. Und es werden tendenziell weniger, denn Abwanderung ist ein großes Thema in dem ehemals abgeschotteten Gebiet, das erst seit den 1970er Jahren durch den Bau der Tauernautobahn besser erreichbar ist. Traumhafte Natur gibt es hier in Hülle und Fülle.

Die mit dem Prädikat „UNESCO Biosphärenpark Salzburger Lungau“ ausgezeichnete Region wartet mit weiten Tälern, grünen Almen und malerischen Schlössern und Burgen auf. Aber hier leben? Da braucht es Leute mit großen, ja vielleicht verrückten Ideen, die lang gehegte Träumen an ungewohnten Orten umsetzen oder „Zuagraste“, die minimalinvasiv Kunst und Kultur implantieren und die Einheimischen mit dem Kunstvirus infizieren wollen.

„Der Lungau ist der musikalischste von allen Salzburger Gauen“, sagt der Stahlbauunternehmer Stefan Ritzer aus Mauterndorf, und verweist auf eine lange Tradition aus Volksmusik, Jazz und Klassik. Weil er selbst für Theater und Musik brennt, räumt er regelmäßig seine Werkshalle aus und veranstaltet Lesungen, Theater und Konzerte da, wo sonst Turbinenteile geschweißt oder Wärmepumpen für den Export in alle Welt hergestellt werden.

Für den jüngsten Coup hat er sich mit seinem Freund Rafael Fingerlos zusammengetan. Der international renommierte Bariton stammt aus Tamsweg und kehrt inzwischen immer öfter in den heimatlichen Lungau zurück. Schon lange träumen die Beiden davon, eine Oper in der Industriehalle auf die Beine zu stellen und heuer ist es soweit: Viermal wird im Juli „Così fan tutte“ über die Bühne gehen. Rafael Fingerlos und Michael Dangl erarbeiten eine halbszenische Aufführung, Fingerlos wird den Guglielmo geben, Dangl als fiktiver Conférencier Lorenzo Da Ponte in Erscheinung treten. Markus Merkel dirigiert das Staatsorchester der Rheinischen Philharmonie.

„Supergau“ heißt eine Projektreihe, mit der die deutsche Festivalintendantin und Kuratorin Tina Heine alle zwei Jahre einen Salzburger Gau bespielt. Nach dem Flachgau hat sie dieses Jahr im Lungau Künstler:innen eingeladen, mit Menschen und Orten in der Region in Kontakt zu treten und gemeinsam mit zeitgenössischen Künsten Plätze zu transformieren.

Spielerisch, dramatisch und experimentell legten diese Performances Eigenheiten des Lungau offen. Das Künstlerinnenkollektiv „Feldarbeiterinnen“ etwa hat auf die Situation der Frauen in ländlichen Räumen hingewiesen, die sich seit der Pandemie noch verschärft hat: Vor einer abendlichen Bergkulisse performten die Künstlerinnen aus Oberösterreich mit Traktor, Techno und Video auf offenem Feld und präsentierten eine „bestrickende“ Spielart des Feminismus.
TV-Beitrag: Clarissa Stadler