Alles auf Anfang?

Zum 75-Jahr-Jubiläum Israels

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Seit Monaten geht Israels Volk auf die Barrikaden, 10 000 Menschen demonstrieren in Tel Aviv und Jerusalem, in Haifa und Eilat. Ein ganzes Land ist im Ausnahmezustand, protestieren doch Minister, Lehrer, Anwälte und Soldaten für die Demokratie. Grund für die Massenkundgebungen ist die umstrittene Justizreform, die der rechten Regierung unter Benjamin Netanjahu absolute Macht verschaffen soll.

Benjamin Netanjahu
APA/dpa/Sven Hoppe

Ausgerechnet „Mr. Sicherheit“ warnt nun vor einem drohenden Bürgerkrieg und vertagt sein undemokratisches Unterfangen. Nichts Geringeres als der Umbau des Staates sei Ziel der Koalition aus ultrarechten und ultraorthodoxen Parteien, warnen Kritiker. Mit der Entmachtung der Justiz will Netanjahu ähnlich wie in Polen und Ungarn mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufheben. Und ganz nebenbei will sich der Premierminister, der in drei Fällen wegen Korruption vor Gericht steht, damit höchstmögliche Immunität verschaffen.

David Ben Gurion
APA/AFP/FILES GPO

Seit seiner Gründung vor 75 Jahren durch David Ben Gurion war der jüdische Staat eine liberale Demokratie mit einer lebhaften Kultur des Widerspruchs. Und die zeigt sich jetzt in ihrer ganzen Vielfalt. Kritiker sehen durch die drohende Reform die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen, dass sich Israel in eine Diktatur verwandeln könnte. Die Regierung argumentiert dagegen, das Höchste Gericht übe derzeit zu viel politischen Einfluss aus. Laut Umfragen sind mehr als 60 Prozent der Bürger dagegen. Erst vor kurzem gab die Ikone der israelischen Musik, Shlomo Artzi bekannt, dass er sich weigere den Israel Preis, die höchste Kulturauszeichnung des Staates wegen der dramatisch zunehmenden Spaltung der Gesellschaft anzunehmen.

Proteste in Israel
APA/AFP/Gil Cohen-Magen

Die Wut der Demonstrierenden richtet sich indes immer stärker nicht nur gegen die Reform, sondern gegen den Regierungschef selbst. Während Netanjahus Partei „Likud“ den Anschein erweckt, sie wolle zurückrudern, üben die kleinen Koalitionspartner der „Schas“ großen Druck auf den Premier aus. Denn die Ultraorthodoxen wollen die Justizreform unbedingt durchsetzen, weil sie damit die Wehrdienst-Diskussion beenden könnten. Schon lange herrscht Streit darüber, ob religiöse Männer und Frauen Wehrdienst leisten müssen wie alle anderen. Ultraorthodoxe Männer konzentrieren sich zumeist auf ihr Studium der heiligen Schriften. Dafür bekommen sie eine schmale Sozialhilfe. Die neue Regierung will das Recht aufs Thorastudium festschreiben. Damit würden Ultraorthodoxe weder dienen noch arbeiten müssen. Die rechtsextremen Siedler-Parteien wollen das Oberste Gericht entmachten, um ihren Traum von Groß-Israel, das mindestens das Westjordanland umfasst, zu verwirklichen – wozu die grundrechtswidrige Enteignung privaten palästinensischen Landes gehört. Wie beurteilen Kulturschaffende des Landes die Situation gerade in einem Jahr, in dem man stolz auf die Gründung des Staates sein will?

Tom Segev
ORF

Wie vielfältig, kontrastreich und divers der Staat, der am 14. Mai 1948 gegründet wurde, ist, weiß Tom Segev, der einer der besten Kenner des Landes ist. Der renommierte Historiker ist mit Büchern wie „Die siebente Million“, „Es war einmal Palästina“ oder „Simon Wiesenthal“ international bekannt geworden.

Cover "Jerusalem Ecke Berlin" - Tom Segev

In seinem neuen, sehr persönlichen Buch „Jerusalem Ecke Berlin“ beleuchtet er seine Geschichte – und damit auch die Geschichte seiner Heimat. Anlässlich des Jüdischen Filmfestivals Wien, das er am 19. April eröffnet ist Tom Segev live zu Gast im kulturMontag.

TV-Beitrag: Tim Cupal

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