Azzurro, Ti amo & Co
Fernweh an einem Sommertag, Tagträume, gespickt von der Sehnsucht nach einer fernen Liebschaft - mit seinem „canzone mit viel passione“ hat der italienische Liedermacher Paolo Conte unsere ewige Sehnsucht nach Sonne, Meer und Leichtigkeit widergespiegelt. Jeder, der auch nur ein winziges Promille italienisches Blut in seinen Adern hat, kann sich der Musik von Bella Italia wohl kaum entziehen, gehen sie doch nicht nur ans Herz, sondern vor allem auch ins Ohr.
Sänger wie Umberto Tozzi und Toto Cotugno haben in den frühen 1980er-Jahren diesen besonderen Italien-Ton geprägt. Die Produzenten nutzten sehr simple Akkordfolgen und haben mit Schlüsselreizen gearbeitet, etwa wenn Al Bano und Romina Power sehr unverhohlen „amore“ auf „dolore“ reimen. Herzzerreissende Liebesballaden wie „Ti amo“ aus der Feder von Umberto Tozzi haben ihren Siegeszug um die Welt angetreten und sind unzählige Male gecovert worden. Dass Italiener nicht nur gute Geschichtenerzähler sind, sondern zumindest noch in den 1960er-Jahren sich auch ziemlich trickreich anstellen mussten stellen Paolo Conte oder Gino Paoli unter Beweis. Sie mussten damals noch jegliche Frivolität in Poesie verpacken. In Paolis berühmtem Lied „Il cielo in una stanza“ dreht sich in diesem Zimmer unter dem Himmel alles es um den postkoitalen Müßiggang eines Paares. Schlüpfrige Details bleiben aus, aber ganz Italien wusste, was gemeint ist. Die Eingebung dazu hatte der Komponist nach dem Besuch bei einer Prostituierten in Genua.
Dass italienische Popsongs mehr als „amore, la dolce vita und gelati“ sind, hat der deutsche Autor Eric Pfeil jetzt in seinem neuen Buch „Azzurro. Mit 100 Songs durch Italien“ dokumentiert. Die Musik ist die wahrscheinlich wichtigste Handwerkskunst des Landes. Ihr Aufstieg ist nicht zu trennen vom Aufstieg Italiens als Wirtschaftskraft. Als Domenico Modugno 1958 das Lied „Nel blu dipinto di blu“ - in unseren Breitengraden besser bekannt als „Volare“ sang - begann eine Zeitenwende: Italien hob kollektiv mit ihm ab und steuerte in den Wirtschaftsboom der 1960er-Jahre, als Menschen aus dem Süden des Landes in die Fabriken von Turin und Mailand strömten.
Grundsätzlich hat die Musik in Italien einen anderen Stellenwert als in der nördlicheren Hemisphäre. Zum einen liegt das an dem großen Erbe der italienischen Oper, denn Kompositionen von Giuseppe Verdi oder Giacomo Puccini funktionieren wie ein Pop-Hit. Zum anderen feiern die „canzone napoletana“, die Volkslieder aus Neapel schon seit dem 13. Jahrhundert mit ihrem unglaublichen Melodienreichtum große Erfolge. Jenen brachten italienische Emigranten später in die USA. Elvis Presleys Hit „It’s Now or Never“ basiert auf dem neapolitanischen Gassenhauer “O sole mio” des Komponisten Eduardo Di Capuo, den einst schon der berühmte Tenor Enrico Caruso intonierte.
Von Adriano Celentano, der mit seinem Dauerbrenner „Azzurro“ Italien wie kaum ein anderer verkörpert bis Rockröhre Gianna Nannini - der kulturMontag beleuchtet den weltweiten Siegeszug der „Cantautrici“.
TV-Beitrag: Allegra Pirker