In memoriam Friederike Mayröcker

Wilder, nicht milder - Friederike Mayröcker im Porträt

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Sie war schon zu Lebzeiten eine Legende in der österreichischen Literaturwelt: Friedericke Mayröcker war bis zu ihrem Tod unvergleichbar in ihrer Klarheit, Klugheit und Kunst. Sie ist stets ihrem Anspruch, Welt in Sprache und Chaos in Kosmos zu verwandeln, treu geblieben. Vielen gilt Friederike Mayröcker als die wichtigste Poetin der Gegenwart. Ungewöhnlich offen zeigt sich die scheue Dichterin im Film von Katja Gasser.

Friederike Mayröcker
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Schwarzes Haar, in die Augen gekämmte Stirnfransen, schwarze Kleidung, blasses Gesicht, zart-durchdringender Blick: als ob er, ihr Blick, Ungenauigkeit, falsche Zusammenhänge und Hierarchien schlicht bersten ließe - ohne viel Aufhebens. Was freigegeben wird, ist das Menschsein in all seiner komplexen Vielschichtigkeit, Widersprüchlichkeit, Leichtigkeit und Schwere.

Friederike Mayröcker
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Friederike Mayröcker schreibt wie sie lebt. Tut sie das? Leben und Schreiben sind nicht zur Deckung zu bringen, sagt sie. H.C. Artmanns Satz, wonach nicht nur das Geschriebene poetisch sein müsse, sondern auch die Existenz, widerspricht Friederike Mayröcker: „Der Biografielosigkeit als Haltung stehen die Texte gegenüber, denen man als Autor einfach nicht entkommt. In ihnen wuchert rücksichtslos die eigene Vergangenheit.“

Friederike Mayröcker
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Der poetische Kosmos Friederike Mayröckers ist voller Rebellion - „nicht Rebellion gegen irgend etwas“, sagt Friederike Mayröcker in diesem Portrait, „sondern einfach meine Haltung zum Schreiben ist so“. Wesentlicher Bestandteil dieser rebellischen Grundneigung: ein unverächtlicher Blick auf alles Existierende. Hund, Baum, Mensch, Tisch: alles steht gleichberechtigt nebeneinander. Friederike Mayröckers legendär gewordene Schreibwohnung im 5. Wiener Gemeindebezirk: sie ist der Inbegriff dieses harmonischen Neben- und Ineinanders von Disparatem.

Friederike Mayröcker
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Nach vielen Jahren der entschlossenen Zurückgezogenheit gewährt die Dichterin der Filmemacherin Katja Gasser erstmals wieder, in diesem „Schreibhimmel“ zu drehen. Beeindruckende Film-Bilder sind dort entstanden, die davon zeugen: hier schreibt jemand mit Haut und Haar, Herz und Hirn, Körper und Seele, mit allem, was ist - für das Leben und gegen den Tod.

Auf die Frage, ob sie das Alter milder hat werden lassen, wie es das Klischee will, sagt sie: „Ich bin eher wilder geworden, nicht milder, von mild kann keine Rede sein, vor allem nicht in meinen Schriften.“ Eindringliche Belege dafür sind ihre literarischen Arbeiten: „Cahier“ und „Études“. Dass der Dreh- und Angelpunkt dieser Literatur die Sprache ist, die Arbeit mit und an ihr: das machen auch diese Texte deutlich. Auch die Liebe zur Natur spielt in ihnen eine große Rolle. Im Film erinnert Mayröcker an die Sommermonate ihrer Kindheit im niederösterreichischen Deinzendorf, die ihre Zuneigung zur Natur begründet haben.

Friederike Mayröcker ist in diesem Portrait offen wie selten, erzählt, was sie zum lachen bringt, spricht über den Tod ihres langjährigen „Schreib- und Herzgefährten“ Ernst Jandl und die Folgen dieses Verlusts. „Wilder, nicht milder“ zeigt eine lebenshungrige 90-jährige Frau, die nichts lieber tut als zu sitzen und zu schreiben und das bedeutet: die Welt durch sich hindurchgehen zu lassen und das, was dabei rauskommt, in Sprache festzuhalten: Literatur ist nicht das Abziehbild von Welt im Falle Friederike Mayröckers, Literatur ist in ihrem Fall in Sprache und durch Sprache verwandelte Welt.

Regie
Katja Gasser

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