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Wem gehört eigentlich die Volksmusik?

„Eigentlich wurde der Schlager ja in Österreich erfunden“, erinnert sich der russische Autor Wladimir Kaminer als er durch Österreich zieht, um für 3sat drauf zu kommen, wie das Land tickt. Doch bald schon merkt er: der Schlager und auch die Volksmusik sind umkämpfte Terrains. Sie habe für sich die Volksmusik aus dem rechten Eck rausgeholt, sagt Sängerin Tini Kainrath. Andreas Gabalier ist sich wiederum sicher: Volksmusik und Schlager gehörten allen.

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Der Begriff „Schlager“ taucht tatsächlich bereits im 19. Jahrhundert und schon in Wien auf. Im „Wiener Fremdenblatt“, in dem viele Werke aus Kunst, Musik und Kultur besprochen wurden, las man am 17. Februar 1867 im Bericht über die Uraufführung des Walzers „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß Sohn: „Die Eröffnungsnummer der zweiten Abteilung war ein entschiedener Schlager.“ Schlager, das war also etwas, was sich in den Köpfen festsetzte. Und nicht selten waren es zu Beginn ja Melodien aus Operetten, die so etwas wie einen Grundstock für den Schlager bildeten. In Deutschland nennt man immer wieder den Journalisten und Theaterkritiker Paul Lindau, der einer der ersten gewesen sei, diesen Ausdruck für Gesangsdarbietungen der Pariser Cafés chantants oder für Wienerlieder zu verwenden.

Kainrath, die Hymne und das Wienerlied

In den Weinbergen Wiens trifft Kaminer jedenfalls die Sängerin Tini Kainrath, einst Mitglied der Hallucination Company und der Rounder Girls, die erzählt, wie sie sich selbst die Volksmusik aus dem rechten Eck geholt habe bzw. die Volksmusik nicht einer gewissen Gruppe überlassen wollte. Kainrath war immer schon durch markante Aktionen, mit denen sie das Bewusstsein ändern wollte, aufgefallen. 2002 hatte sie der damals neue ÖFB-Präsident Friedrich Stickler eingeladen, die Bundeshymne vor einem Ländermatch als Sologesangt - quasi in der Darbietung „amerikanisiert“ - auf die Bühne zu bringen.

TV-Hinweis:
In der Doku-Reihe „Kaminer inside“ fragt Wladimir Kaminer für 3sat, wie Österreich, Schweiz und Deutschland klingen. Jede Woche präsentiert ORF III, freitags in „Kultur heute“, die Interviews aus der Doku von Constanze Griessler und Franziska Mayr-Keber mit Kaminer und heimischen Stars aus allen Genres der Musik.
Kultur heute - Freitag 21. Jänner 2021 19:45 ORF III. Alle Interviews sind im Schwerpunkt „Kaminer sieht Österreich“ zu sehen.

Dass sie geschlechterneutral von „Töchtern und Söhnen“ vor 32.000 Fans gesungen hatte, sorgte damals für eine Riesenaufregung und eine Entschuldigung durch den ÖFB-Präsidenten. Von der Wiener SPÖ-Stadträtin Renate Brauner hatte Kainrath dann umgehend Blumen für die Aktion bekommen. Und wenn man so will, war Kainrath die Auslöserin für die bis in die Gegenwart gehende Hymnen-Positionierung geworden, die ja nach Versionsentscheidung auch als gesellschaftspolitisches Statement gelesen wird. Andreas Gabalier etwa beharrt ja stets auf der „klassischen“ Version der Hymne mit den Söhnen.

Die Tradition, das Wienerlied zu pflegen, ist für Kainrath, wie sie Kaminer erzählt, durchaus ein „politischer Akt“: “Das Wienerlied galt in meiner Familie als reaktionär und rechtes Gedankengut. Es war verpönt! Doch ich finde, man darf Traditionen nicht einfach einer politischen Gesinnung überlassen.”

Video: Tini Kainrath

„Wenn man's nicht mag, kann man ja abdrehen“

Für Andreas Gabalier gehört das Volkslied wiederum niemanden. Weder den Linken noch den Rechten. In der Reihe „Heimat“ mit Kaminer erzählt Gabalier in den Schladminger Tauern, wie seine Positionierung zur Tradition und zum Volkslied bzw. Schlager verstanden werden mag: „Teil meines Konzerts ist, dass man in Tracht kommt, das macht aus dem Ganzen eine Mottoparty.“ Und das sei immer noch zeitgemäß. Er habe die Lederhose wieder re-popularisiert. Dass das heutige Bild von Österreich mit ihm verbunden sei, halte er nicht für ein Problem, erzählt Gabalier: „Ich trage die ländliche, die heimatverbundene Seite von Österreich hinaus, auch die von einer Idylle.“ Ob es diese Idylle überall gäbe, könne man schon hinterfragen - aber, so Gabalier: „Am Ende ist es ja immer noch Kunst.“

Video: Andreas Gabalier

Natürlich seien es Lieder, die „gewisse Situationen“ noch weiter ausschmückten „als sie tatsächlich in der Realität sind“. „Wir machen natürlich Unterhaltung“, ergänzt Gabalier: „Volksrock'n'roll ist ja nicht nur der Jazz-Keller, und natürlich wird bei uns aufgetragen und überzeichnet, aber letztlich alles ganz positiv.“ Eigentlich gäbe es keinen Grund, sich über Andreas Gabalier aufzuregen, sagt Andreas Gabalier - „das Schöne an der Musik ist ja: wenn man's nicht mag, kann man es ja abdrehen.“

Melissa Naschenweng und Wladimir Kaminer
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Melissa Naschenweng und Wladimir Kaminer

Naschenweng und die nächste Generation

Hinter Gabalier ist aber auch eine neue, junge Generation, gerade auch weiblicher Volksmusik in Stellung gegangen, die solche Debatten hinter sich lässt oder sie nicht führen mag. Die Kärntnerin Melissa Naschenweng ist mit ihrer pinken Harmonika besonders auf dem Land ein Shooting Star, doch auch in Deutschland wird sie, obwohl sie im Dialekt singt, populärer: "Die Leute überlegen schon, wenn ich sing’: Was singt sie denn jetzt genau? Weil es ist schon sehr im Dialekt, aber sie verstehen es dann. Die Musik muss man eigentlich nicht verstehen, die muss man nur spüren.”

Video: Melissa Naschenweng

Zur Musik sei sie über die Familie gekommen. Bereits vor der Schule habe sie mit dem Harmonikaspielen angefangen. Mittlerweile sehe sie, auch mit der früher als uncool geltenden Farbe Pink, die ihre Harmonika trägt, dass es ein neues Signal gäbe: „Ich finde, dass auch Frauen die Hosen anhaben können.“ Und sie freue sich, dass ihr Beispiel letztlich auch bei den Jungen die Liebe zum Instrument Harmonika gefördert habe.

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