Universum

Korridore des Lebens

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Im Anthropozän ist der Homo sapiens zum Homo mobilis geworden: Autobahnen, Eisenbahnen, Flug- und Schiffsverbindungen, Milliarden rastlos zurückgelegter Kilometer prägen nicht nur unser Leben, sondern unsere gesamte Umwelt.

Allerdings nicht nur unsere. Denn auch Wildtiere wollen mobil sein. Sie waren es immer schon, auch wenn uns weder Straßenkarte noch Navi ihre zahllosen Wanderrouten über Land, im Wasser und durch die Luft vor Augen führen. Wölfe und Bären, Biber und Fischotter, Hirsche, Amphibien, Kraniche und Lachse wollen wandern – oft Hunderte, sogar Tausende Kilometer weit. Sie kennen keine Ländergrenzen. Ihre Wege führen von Winterquartieren zu Brut- und Laichplätzen, von Sommer- zu Winterweiden, von besetzten oder zerstörten Habitaten zu neuem Lebensraum. Und indem Tiere wandern, frischen sie den Genpool ihrer Populationen auf und sichern so Europas Artenvielfalt, wie die TV-Premiere der „Universum“-Dokumentation „Korridore des Lebens – Europas grenzenlose Natur“ von Regisseur Franz Hafner zeigt. Der Film entstand als Koproduktion von Interspot Film, ORF, Doclights, ARTE GEIE und CT, gefördert von Fernsehfonds Austria, Land Niederösterreich und VAM.

Im Spannungsfeld von Mensch und Natur

„Nicht selten war ich im oft zähen Verkehr zum nächsten Drehort unterwegs“, erinnert sich „Universum“-Regisseur Franz Hafner. „Dabei kam mir die Idee zu diesem Film. Denn wie ich reisen auch Wildtiere. Mir wurde bewusst: Über das uralte Wegenetz der Tiere hatte der Mensch brachial ein neues gelegt, war buchstäblich darübergefahren: Agrarflächen, Siedlungen, Industriegebiete und Flusskraftwerke blockieren die natürliche Wanderrouten.“

Das Team der Interspot Film hat für diese Produktion zwei Jahre lang in neun Ländern Mitteleuropas gearbeitet. „Während wir durch Europa gefahren sind, konnten wir anschaulich erleben, wie sehr wir Menschen mit unseren Transportwegen die Lebensräume der Wildtiere zerschnitten haben. Das war beeindruckend und erschreckend zugleich“, sagt Hafner.

Ein Rothirsch mit weit ausladendem Geweih trinkt neben einem umgestürzten toten Baum aus einem Gewässer.
ORF/Interspot Film/Franz Hafner
In der Brunft können Rothirsche von der Hohen Tatra bis in die Donau-Auen wandern

Zugleich drehte der vielfach ausgezeichnete Naturfilmer aber auch an zahlreichen Orten von ursprünglicher Schönheit: Etwa im Bärenland Kočevje, in der Hohen Tatra, in Ostdeutschland, im Nationalpark Donauauen oder in der ungarischen Puszta. Der Naturreichtum Mitteleuropas ist nach wie vor beeindruckend.

Anpassungskunst auf hohem Niveau

Was sich während der Dreharbeiten auch gezeigt hat: Überall dort, wo Menschen neben eigenen Interessen auf die Bedürfnisse der Wildtiere Rücksicht nehmen, indem etwa Grünbrücken und Fischpässe gebaut werden, wird das Angebot unglaublich rasch angenommen. Ein Hoffnungsschimmer – für die Welt der Tiere und die der Menschen gleichermaßen.

Eine Grünbrücke überspannt eine Autobahn. Sie ist mit Gras und kleinen Büschen bewachsen. Am Rand der Autobahn liegen Felder.
ORF/Interspot Film/Franz Hafner
Grünbrücken wie in Müllendorf ermöglichen es Wildtieren, stark befahrene Verkehrswege gefahrlos zu queren

„Glücklicherweise sehen wir heute europaweit Bemühungen, alte Korridore wiederherzustellen, Hindernisse zu beseitigen, fragmentierte Lebensräume zu verbinden – durch sichere Passagen über und unter Straßen, Fischleitern an Staudämmen, Schutzgebiete entlang der Vogelzugrouten“, freut sich Hafner nach Abschluss der Dreharbeiten. Zugleich entdecken Wildtiere von sich aus Trittsteine und neue Korridore: aufgelassene Bergbaugebiete, Truppenübungsplätze – Lost Places, von denen die Wildnis erstaunlich rasch Besitz ergreift.

So ist auch Interspot-Produzent Niki Klingohr überzeugt davon, dass es richtig war, dieses akute Thema aufzugreifen. „Für mich war vor allem beeindruckend, welch große Distanzen die Tiere in der Luft, am Land und in den Wasserwegen zurücklegen, um den Kreislauf des Lebens zu erhalten.“

Ein junger Wolf auf einem sandigen Weg, Gräser wachsen am Rand.
ORF/Interspot Film/Lennert Piltz
Wölfe haben sich in einem stillgelegten Braunkohle-Tagebau in der Lausitz angesiedelt

Denn: Wem ist tatsächlich bewusst, dass Hirsche auch heutzutage noch von den Karpaten bis nach Österreich wandern? Dass Antlantiklachse sich zum Laichen ihren Weg von der Nordsee durch den Rhein Richtung Alpen bahnen und Wölfe alte Bergbaugebiete in der ostdeutschen Lausitz als Lebensraum entdeckt haben? Der Mensch muss die Tür nur einen Spalt offen lassen, buchstäblich Brücken bauen, und Tiere werden dieses Geschenk dankbar annehmen.