Menschen & Mächte

Windeln, Wünsche, Wirklichkeit: 100 Jahre Muttertag

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Vier Kinder hatte eine Frau Anfang des 20. Jahrhunderts durchschnittlich in Österreich. Heute sind es weniger als eineinhalb. Anstelle der Großfamilie also die Kleinfamilie: oft mit Einzelkind, oft alleinerziehend. Immer wieder wurde versucht, mehr Frauen und Männer dazu zu bringen, Eltern zu werden. Aber ob Mutterkreuz oder Kindergeld – es blieb erfolglos. Robert Gokl und Viktoria Tatschl analysieren für die neue „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Windeln, Wünsche, Wirklichkeit: 100 Jahre Muttertag“, Ursachen und Folgen des demografischen Wandels und treffen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vom Mutterkreuz-Kind bis zu Paul Pizzera, dessen Song „Mama“ eine Liebeserklärung an seine Mutter Brigitte ist.

Windeln, Wünsche, Wirklichkeit: 100 Jahre Muttertag: Marianne Hainisch, Begründerin des Muttertags in Österreich
ORF/APA picturedesk/Scherl SZ-Foto
Marianne Hainisch, Begründerin des Muttertags in Österreich

„Meine Mama ist meine Heldin!“ – Mutter zu werden ist eine der folgenschwersten Entscheidungen, Mutter zu sein eine der größten Aufgaben im Leben einer Frau. Vor 100 Jahren war die Situation vieler Mütter so prekär, dass Marianne Hainisch, bürgerliche Frauenrechtlerin und Mutter des ersten österreichischen Bundespräsidenten Michael Hainisch, den Muttertag in Österreich einführte. Ihr Vorbild dabei: Anna Marie Jarvis, Begründerin der Muttertags-Idee in den USA noch vor dem Ersten Weltkrieg. Von Anfang an wurde die Muttertags-Idee kritisiert: Ein Tag im Jahr mit Kindergedichten und Blumengeschenken kann kein Ausgleich für die Arbeit, die Sorgen, die Nöte eines ganzen Jahres sein. In der Pflicht standen die Männer: Mitverantwortung und Mitarbeit in der Kindererziehung. Bis heute hat sich daran wenig geändert.

Im Nationalsozialismus wurden Frauen als Gebärmaschinen gesehen. So viele Kinder wie möglich – für Führer, Volk und Vaterland. Das war der Auftrag. Der Lohn dafür das Mutterkreuz, verliehen zum Muttertag. Helga Duffek ist eines von zehn Kindern, für die ihre Mutter das Mutterkreuz erhielt: „Das war sehr wertvoll für sie. Materieller Wert null, das war ja kein echtes Silber. Es hat nur so geglitzert.“ Die Realität hinter der verlogenen NS-Propaganda war oft furchtbar: zerrissene Familien; Kinder, die ohne Vater aufwuchsen; Mütter, die als Soldatenwitwen ihre Kinder allein erziehen mussten.

Windeln, Wünsche, Wirklichkeit: 100 Jahre Muttertag: Kinder rund um 1900 in Wien
ORF/Wien Museum/August Stauda
Kinder rund um 1900 in Wien

In der Zweiten Republik kehrt wieder Ruhe in den Familienalltag ein. In den ersten Jahrzehnten dominiert weiter das Ideal einer „bürgerlichen“ Familie, in der die Mutter sich zu Hause um die Kinder kümmert. Der gesellschaftliche Wandel und die Sozialreformen der 1970er Jahre verdrängen dieses Ideal immer mehr. Pillenknick, Legalisierung der Abtreibung, höhere Bildung und zunehmende Berufstätigkeit von Frauen, steigende Scheidungsraten, immer mehr Alleinerziehende, immer mehr Patchwork-Familien … Der Familienalltag und die Rolle der Mütter werden bunter, diverser, offener. Die Inszenierung des Muttertags selbst ändert sich kaum, auch wegen der kommerziellen Interessen von Blumenhändler:innen, Konditor:innen und Juwelier:innen, denen der Muttertag jedes Jahr ein Umsatzhoch bringt.

In den 1990er Jahren wird der Muttertag Thema eines gleichnamigen Spielfilms. Alfred Dorfer: „Wir wollten etwas über familiäre Verlogenheit machen. Und der Muttertag war für uns das absolute Symbol von Heuchelei.“ Der Film wird ein Riesenerfolg. Und der Muttertag in der Gegenwart immer umstrittener. Heute gilt er als Überbleibsel einer patriarchalen Vergangenheit, der einer diversen Familienrealität von heute nicht mehr gerecht wird. Eltern-Tag, Familien-Tag, Danke-Tag … mehrere Vorschläge für eine neue und moderne Definition des alten „Muttertags“ werden diskutiert.

„Windeln, Wünsche, Wirklichkeit“ – Eine emotionale Zeitreise rund ums Kinder-Kriegen und Kinder-Aufziehen, durch ein Jahrhundert des Muttertags, zwischen Mutterglück und Mutterleid, Kinderlachen und Kinderweinen, Emanzipation und Tradition.

Gestaltung

Robert Gokl

Viktoria Tatschl